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Totenbuch

Totenbuch

Titel: Totenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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den ganzen Tag noch nichts gegessen hat, und weist
sie darauf hin, dass oben in der Küche - natürlich gesunde - Gerichte vom
Heimservice darauf warten, verzehrt zu werden. Und, nein, noch eine Tasse
Kaffee kommt überhaupt nicht in Frage, denn Scarpetta hatte für heute schon
genug.
    »Offenbar war er in eine Messerstecherei
verwickelt«, fährt Rose besorgt fort.
    »Das stand in dem Bericht über die
Personenüberprüfung. Er war das Opfer«, entgegnet Scarpetta.
    »Der Kerl wirkt aggressiv und gefährlich und ist
gebaut wie ein Frachtkahn. Es gefällt mir gar nicht, dass er an einem Sonntagnachmittag
herkommen wollte. Wahrscheinlich hat er gehofft, Sie allein anzutreffen«, sagt
Rose zu Scarpetta. »Woher wollen Sie wissen, dass er nicht der Mörder des
Kindes ist?«
    »Ich möchte ihn mir wenigstens anhören.«
    »Früher hätten wir so etwas nie getan. Wir hätten
die Polizei eingeschaltet«, beharrt Rose.
    »Jetzt ist aber nicht früher«, erwidert Scarpetta,
bemüht, nicht oberlehrerhaft zu klingen. »Das hier ist eine Privatpraxis, was
heißt, dass wir einerseits flexibler sind, in anderen Dingen aber weniger
Spielraum haben. Allerdings hat es schon immer zu unseren Aufgaben gehört, mit
jedem zu sprechen, der uns vielleicht hilfreiche Hinweise geben kann, ganz
gleich, ob nun ein Polizist dabei ist oder nicht.«
    »Passen Sie bloß auf«, wendet Rose sich an Marino.
»Der Mensch, der sich an dem armen kleinen Jungen vergriffen hat, weiß genau,
dass wir die Leiche hier haben und dass Dr. Scarpetta an dem Fall arbeitet. Und
wenn sie in einer Sache ermittelt, klärt sie das Verbrechen normalerweise auf.
Es könnte also durchaus sein, dass dieser Kerl sie schon seit einiger Zeit
heimlich beobachtet.«
    Normalerweise ist Rose nicht so ängstlich.
    »Sie haben geraucht«, wendet sich Rose dann tadelnd
an Marino.
    Wieder nimmt er einen großen Schluck Pepsi light.
»Da hätten Sie mich erst gestern Abend sehen sollen. Zehn Zigaretten im Mund
und zwei im Hintern, während ich Harmonika gespielt und es gleichzeitig meiner
neuen Braut besorgt habe.«
    »Offenbar wieder einmal ein Erweckungserlebnis in
dieser Rockerkneipe, und zwar mit einer Frau, deren IQ vermutlich der Temperatur
in meinem Gefrierschrank entspricht. Bitte lassen Sie die Finger von den
Zigaretten. Ich will nicht, dass Sie sterben.« Mit besorgter Miene geht Rose
zur Kaffeemaschine und setzt eine frische Kanne auf. »Mr. Grant hätte gern eine
Tasse Kaffee«, sagt sie. »Und nein, Dr. Scarpetta, Sie kriegen keinen.«
     
    6
     
    Bulrush Ulysses S. Grant,
schon seit früher Kindheit Bull genannt, fängt unaufgefordert an zu erläutern,
woher er seinen Namen hat.
    »Wahrscheinlich fragen Sie sich, was das S.
bedeutet. Es ist wirklich nur ein S mit einem Punkt dahinter.« Er sitzt auf
einem Stuhl neben der geschlossenen Tür von Scarpettas Büro. »Natürlich wusste
meine Mama, dass das S. in General Grants Namen für Simpson steht. Aber sie
wollte nicht, dass ich später mal so viel schreiben muss, und hat sich deshalb
mit dem S. begnügt. Doch wenn Sie mich fragen, dauert das Erklären länger, als
wenn ich es schreiben würde.«
    Er ist sauber und ordentlich angezogen und trägt
gebügelte graue Arbeitskleidung. Seine Turnschuhe sehen aus, als kämen sie
frisch aus der Waschmaschine. Auf seinem Schoß liegt eine abgewetzte gelbe Baseballkappe
mit einem aufgedruckten Fisch. Die Hände hat er höflich darauf gefaltet.
Ansonsten sieht er ziemlich zum Fürchten aus, denn sein Gesicht, sein Hals und
seine Kopfhaut sind von langen, rosigen Narben übersät. Falls er jemals bei
einem plastischen Chirurgen war, muss der Kerl ein Stümper gewesen sein. Nun
ist Bull für den Rest seines Lebens entstellt, ein Zickzackmuster aus keloiden
Narben, die Scarpetta an Queequeg in Moby Dick erinnern.
    »Ich weiß, dass Sie erst vor kurzem hergezogen
sind«, sagt Bull zu Scarpettas Überraschung. »In das alte Kutschhaus, dessen
Rückseite auf die Gasse zwischen Meeting Street und King Street hinausgeht.«
    »Woher zum Teufel haben Sie ihre angebliche Adresse,
und was geht Sie das überhaupt an?«, braust Marino auf.
    »Ich habe früher bei einer Ihrer Nachbarinnen
gearbeitet.« Bull richtet seine Antwort an Scarpetta. »Sie ist vor langer Zeit
gestorben. Insgesamt war ich etwa fünfzehn Jahre bei ihr beschäftigt, doch vor
vier Jahren, nach dem Tod ihres Mannes, hat sie den Großteil ihres Personals
entlassen. Ich glaube, sie war finanziell klamm. Also musste ich mir

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