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Totenbuch

Totenbuch

Titel: Totenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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männliche und raubeinige Weise attraktiv. Und das könnte er auch
heute noch sein, hätte er nicht solchen Raubbau an seiner Gesundheit getrieben,
sich selbst vernachlässigt und sich außerdem eine proletenhafte Art zugelegt,
die er inzwischen nicht mehr auf seine schwere Kindheit in einem
Arbeiterviertel in New Jersey schieben kann.
    »Keine Ahnung, warum du dich immer noch in der
Illusion wiegst, mich täuschen zu können«, erwidert Scarpetta mit einer
unüberhörbaren Schärfe in ihrer Stimme, um von dem absolut nebensächlichen
Thema Kleidung abzulenken. »Gestern Abend. Und ganz eindeutig im Autopsiesaal.«
    »Was soll ich getan haben?« Wieder ein großer
Schluck aus der Dose.
    »Wenn du dich mit Rasierwasser überschüttest, um den
Zigarettengeruch zu tarnen, erreichst du damit nur, dass ich Kopfschmerzen
kriege.«
    »Hä?« Er rülpst leise.
    »Lass mich raten - du warst gestern Abend im Kick 'N Horse.“
    » Der
Schuppen ist total verqualmt.« Er zuckt die mächtigen Schultern.
    »Und du hast ganz sicher nicht dazu beigetragen. Du
hast nämlich im Autopsiesaal geraucht. In der Kühlkammer. Sogar mein Kittel
hat heute nach Zigaretten gestunken. Hast du etwa auch in meiner Umkleide
gequalmt?«
    »Wahrscheinlich ist er von meiner Seite rübergeweht.
Der Rauch, meine ich. Vielleicht bin ich mit einer Zigarette in meine Umkleide.
Ich weiß nicht mehr genau.«
    »Du hast doch sicher keine Lust auf Lungenkrebs.«
    Er weicht ihrem Blick aus, wie immer, wenn ihm ein
Thema ganz besonders unangenehm ist und er lieber über etwas anderes reden
möchte. »Hast du was Neues rausgekriegt? Das heißt, nicht bei der alten Dame,
die man nur deshalb zu uns geschickt hat, weil der Leichenbeschauer sich nicht
an einer nach Verwesung stinkenden Leiche die Hände schmutzig machen wollte.
Ich meine den Jungen.«
    »Ich habe ihn in den Gefrierschrank gelegt. Mehr
können wir momentan nicht für ihn tun.«
    »Ich kapiere nicht, wie man ein Kind umbringen kann.
Wenn ich den erwische, der den kleinen Jungen kaltgemacht hat, reiße ich ihn
mit bloßen Händen in Stücke.«
    »Bitte keine Morddrohungen.« Rose steht, einen
eigenartigen Ausdruck auf dem Gesicht, in der Tür. Scarpetta weiß nicht, wie
lange sie schon dort wartet.
    »Das ist keine Drohung«, erwidert Marino.
    »Genau deshalb habe ich es ja angesprochen.« Rose
tritt ein. Wie immer ist sie - mit ihren eigenen Worten - tipptopp und trägt
ein blaues Kostüm und das weiße Haar zu einem französischen Knoten
hochgesteckt. Allerdings macht sie einen erschöpften Eindruck, und ihre
Pupillen sind verengt.
    »Halten Sie mir schon wieder Vorträge?« Marino
zwinkert ihr zu.
    »Hin und wieder haben Sie eine Gardinenpredigt
bitter nötig. Oder auch mehrere«, entgegnet Rose und schenkt sich eine Tasse
starken schwarzen Kaffee ein, eine »schlechte Angewohnheit«, die sie eigentlich
vor etwa einem Jahr abgelegt, nun aber offenbar wieder aufgegriffen hat. »Und
falls Sie es vergessen haben sollten« - sie betrachtet ihn über den Rand ihrer
Kaffeetasse hinweg-, »Sie haben bereits einige Menschen auf dem Gewissen. Also
sollten Sie keine Drohungen ausstoßen.« Sie lehnt sich an die Anrichte und
holt tief Luft.
    »Ich habe doch gesagt, dass es keine Drohung ist.«
    »Fühlen Sie sich auch wirklich wohl?«, wendet sich
Scarpetta an Rose. »Vielleicht ist es ja mehr als eine kleine Erkältung. Sie
hätten nicht zur Arbeit kommen sollen.«
    »Ich habe ein wenig mit Lucy geplaudert«, antwortet
Rose. »Und deshalb möchte ich nicht, dass Dr. Scarpetta auch nur eine Sekunde
mit diesem Mr. Grant allein ist.«
    »Hat sie erwähnt, dass er die Personenüberprüfung
bestanden hat?«, fragt Scarpetta.
    »Haben Sie mich verstanden, Marino? Sie lassen Dr.
Scarpetta nicht mit diesem Mann allein. Die Personenüberprüfung ist mir
schnurzegal. Er ist größer als Sie«, sagt die wie immer überbehütende Rose,
offenbar vorgewarnt von der noch misstrauischeren Lucy.
    Rose ist nun schon seit fast zwanzig Jahren
Scarpettas Sekretärin und ihr von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz - oder mit ihren
eigenen Worten »durch dick und dünn« - gefolgt. Die attraktive, energische
Dreiundsiebzigjährige gibt mit ihrer aufrechten Haltung ein beeindruckendes
Bild ab. Tagein, tagaus kommt sie, bewaffnet mit Telefonnotizen, Berichten,
die sofort unterzeichnet werden müssen, und anderen wichtigen geschäftlichen
Anliegen in den Autopsiesaal. Außerdem erinnert sie Scarpetta - mit sanftem
Nachdruck - daran, dass sie

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