Totenbuch
Europa. Wer zum Teufel braucht so ein großes
Haus?«
»Ich möchte gern einmal nach
Europa.«
»Dieser Camcorder ist wirklich
eine Wucht.«
Madelisa will nichts davon
hören. Einen Camcorder für eintausenddreihundert Dollar kann er sich leisten,
aber für Frisbee war kein Geld da.
»Sieh nur. Die vielen Balkone
und das rote Dach«, spricht Ashley währenddessen weiter. »Stell dir mal vor,
wie es wäre, in so etwas zu wohnen.«
Wenn wir so wohnen würden, denkt sie, hätte ich nichts dagegen,
dass du dir teure Camcorder und einen Fernseher mit Plasmabildschirm kaufst.
Dann wären die Tierarztrechnungen für Frisbee nämlich auch noch drin gewesen. »Ich kann mir so was nicht vorstellen«,
entgegnet sie stattdessen und posiert vor der Düne. Der Basset sitzt hechelnd
zu ihren Füßen.
»Ich habe gehört, dass da drüben
eine Villa steht, die dreißig Millionen Dollar gekostet hat.« Ashley deutet
mit dem Finger in ihre Richtung. »Lächeln! Das ist doch kein Lächeln. Sicher
gehört sie einem Prominenten, dem Gründer von Wal-Mart vielleicht. Warum
hechelt der Hund denn so? Heute ist es doch gar nicht heiß. Und außerdem
zittert er. Womöglich ist er krank und hat die Tollwut.«
»Nein, Schatz, er zittert so,
weil er Angst hat. Er könnte auch durstig sein. Ich habe dir doch gesagt, dass
du eine Wasserflasche mitnehmen sollst. Außerdem ist der Gründer von Wal-Mart
schon längst tot«, fügt Madelisa hinzu, während sie den Basset streichelt.
Dabei lässt sie den Blick über den Strand schweifen, aber es ist niemand zu
sehen. Sie bemerkt nur einige Angler in der Ferne. »Sicher hat er sich
verlaufen«, sagt sie. »Sein Besitzer scheint nirgendwo in der Nähe zu sein.«
»Komm, wir gehen es suchen,
damit ich ein paar Bilder davon in den Kasten kriege.«
»Was suchen?«, fragt sie. Der
Hund drängt sich weiter hechelnd und bebend an sie. Als sie ihn näher
betrachtet, stellt sie fest, dass er ein Bad braucht und dass seine Krallen
dringend gestutzt werden müssen. Dann fällt ihr noch etwas auf. »Oh, mein
Gott, ich glaube, er ist verletzt.« Sie berührt den Nacken des Hundes, mustert
das Blut an ihrem Finger und fängt an, auf der Suche nach einer Wunde sein Fell
zu teilen. Aber sie findet nichts. »Das ist aber komisch. Woher kommt denn das Blut
in seinem Fell? Da ist noch mehr. Allerdings hat er nirgendwo eine Verletzung.
Wie eklig!«
Sie wischt sich die Hände an den
Shorts ab.
»Vielleicht liegt ja irgendwo
eine tote Katze herum.« Ashley hasst Katzen. »Lass uns weitergehen. Um zwei
haben wir Tennistraining, und ich möchte davor zu Mittag essen. Haben wir
eigentlich noch etwas von dem mit Honig glasierten Schinken da?«
Als Madelisa sich umdreht, sitzt
der Basset im Sand und blickt ihnen nach.
»Ich weiß, dass Sie den
Ersatzschlüssel in einem kleinen Kästchen unter dem Backsteinhaufen hinter den
Büschen versteckt haben«, sagt Rose.
»Er ist total verkatert, und ich
will nicht, dass er sich mit einer gottverdammten Kanone im Hosenbund auf sein
Motorrad setzt«, erwidert Scarpetta.
»Was wollte er eigentlich bei
Ihnen zu Hause?«
»Ich möchte nicht darüber
sprechen. Reden wir lieber über Sie.«
»Holen Sie sich doch einen
Stuhl. Es ist zu eng, wenn Sie neben mir auf dem Sofa sitzen«, schlägt Rose
vor.
Scarpetta trägt einen
Esszimmerstuhl hinüber und lässt sich darauf nieder. »Ihre Medikamente«,
beginnt sie.
»Ich habe sie nicht aus dem
Autopsiesaal geklaut, wenn Sie darauf anspielen. All diese armen Menschen, die
zusammen mit ihren Medikamenten eingeliefert werden. Und warum? Weil sie sie
nicht nehmen. Tabletten nützen nichts. Anderenfalls würden die Leute nicht bei
uns landen.«
»Auf dem Döschen steht Ihr Name
und der Ihres Arztes. Entweder erklären Sie mir, was für ein Arzt das ist und
warum Sie bei ihm in Behandlung sind, oder ich mache mich selbst kundig.«
»Ein Onkologe.«
Scarpetta fühlt sich wie nach
einem Tritt vor die Brust.
»Bitte machen Sie es mir nicht
noch schwerer«, spricht Rose weiter. »Ich habe gehofft, dass Sie es erst
erfahren, wenn es Zeit ist, die passende Urne für meine Asche auszusuchen.
Natürlich hätte ich nicht so viele Tabletten auf einmal nehmen sollen.« Sie
holt Luft. »Aber ich war so aufgewühlt und traurig und hatte solche Schmerzen.«
Scarpetta nimmt ihre Hand.
»Komisch, wie unsere Gefühle letztlich doch immer die Oberhand gewinnen. Sie
waren so gefasst. Oder soll ich besser stur sagen? Und heute wurden Sie damit
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