Totenfeuer
kann mir nur vorstellen, dass er es Thelma geben wollte, für die Ausbildung ihrer Kinder. Thelma und ihr Mann sind zwar nicht arm, aber besonders dicke haben sie es auch nicht, und man weiß ja, was gute Schulen und Unis in den USA kosten.«
Der Kater hat sich von seinem Schrecken erholt und streicht um die Stuhlbeine. Anna setzt ihn sich auf den Schoß. Ein unergründlicher Blick aus grünen Augen trifft Jule, die nun fragt: »Woher stammt eigentlich Ihre Tante Martha?«
Anna stößt ein schnaubendes Lachen aus. »Aus kleinen Verhältnissen , wie Opa immer sagte. Ihre Eltern hatten einen Tante-Emma-Laden in Pattensen, und sie selbst war Krankenschwester im Henriettenstift. Die hat sich den Ernst nur gekrallt, weil er der Hoferbe war.«
»Hat auch Ihr Opa gesagt«, ergänzt Jule.
»Genau.« Anna krault den Kater nachdenklich zwischen den Ohren, dann hat sie eine Frage an Jule: »Hat eigentlich Tante Martha von diesem Grundstücksverkauf gewusst?«
Jule ist klar, worauf Anna hinauswill. »Das wissen wir nicht«, antwortet sie. »Ich konnte sie noch nicht dazu befragen.«
»Die lügt doch sowieso, wenn sie den Mund aufmacht«, prophezeit Anna und schlussfolgert: »Wenn sie das mit dem Verkauf spitzgekriegt hat, dann hat sie ihn umgebracht.« Sie sieht Jule mit ernstem Blick an. »Mein Großvater war ein toller Mensch. Er hat es verdient, dass man …« Sie unterbricht sich, dann fragt sie: »Kann ich als Angehörige eigentlich eine Obduktion verlangen?«
Jule schüttelt den Kopf. »Voraussetzung für eine Leichenöffnung ist eine richterliche Anordnung, die nach einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft getroffen wird.«
»Bächle, Rechtsmedizin.«
»Hauptkommissar Völxen hier. Verehrter Dr. Bächle, ich habe ein Anliegen. Ich lasse Ihnen noch heute die Leiche eines neunzigjährigen Mannes zukommen, es handelt sich um Heiner Felk, den Vater unserer Osterfeuerleiche. Wäre es eventuell möglich, diese Leichenschau vorzuziehen, damit, falls sich kein Verdacht einer Fremdeinwirkung ergibt, die Beerdigung am Freitag planmäßig durchgeführt werden kann?«
»Klar, Herr Kommissar, mir hend ja sonscht nix zum tun.«
»Dr. Bächle, ich flehe Sie an. Ich komme sonst arg in die Bredouille. Es ist eine überaus heikle Situation, wenn man im eigenen Dorf ermitteln muss. Und wenn ich denen die Beerdigung vermassle, womöglich grundlos, dann …«
»Ha jo, des verschteh ich doch, i komm doch au’ vom Dorf«, lenkt der Mediziner ein. »Also gut. Wir tun unser Beschtes, Herr Kommissar!«
»Ich danke Ihnen. Und achten Sie besonders auf den toxischen Befund.«
»Isch scho recht!«
Völxen atmet auf. So, das wäre erledigt. Aber was ist nun mit Gutensohn? Warum hat der Mann ihm gegenüber die Sache mit dem Hund nicht erwähnt? Ist es möglich, fragt sich Völxen, dass ein Mensch einen anderen erschießt und danach dessen Hund ins Tierheim bringt? Es soll ja auch tierliebe Mörder geben.
Der Kommissar nimmt einen großen Schluck Pfefferminztee aus seiner verhassten Schaftasse und überlegt weiter. Was hätte ich als Täter in dieser Situation getan? Den Hund erschießen bringe ich nicht fertig, ihn einfach dalassen geht auch nicht, weil das Tier durch sein Verhalten womöglich vorzeitig verraten hätte, wo die Leiche seines Herrchens liegt. Also muss ich den Hund entweder zu Hause einsperren, und wenn das nicht geht, weil das Gebell in der Nachbarschaft auffallen würde, muss ich ihn weit weg vom Tatort aussetzen. Das wäre vernünftig und logisch. Ihn mit dem eigenen Wagen persönlich ins nächstgelegene Tierheim zu bringen ist aus Tätersicht ziemlich dämlich. Und Gutensohn ist kein Trottel, er verfügt über eine gehörige Portion Bauernschläue, schon von Berufs wegen. Weshalb ihn diese Tierheimaktion in Völxens Augen sogar eher entlastet. Allerdings hat Völxen schon oft genug erlebt, dass sich Täter weder vernünftig noch logisch verhalten – ein Grund für die hohe Aufklärungsquote seines Dezernats. Mal angenommen, Gutensohn ist unschuldig: Warum wollte er im Tierheim seinen Namen nicht nennen? Warum bringt er den Hund überhaupt ins Tierheim und nicht zu seinem Herrn zurück? Weil er den Hund entweder nicht erkennt oder weil Felk nicht zu Hause ist. Völxen hat genug von seiner Grübelei. Er wird Gutensohn vorladen und bei der Gelegenheit sein Fahrzeug beschlagnahmen und es zur KTU bringen lassen. Aber wenn er der Täter ist? Ahnt er dann nicht, was diese Vorladung bedeutet? Was, wenn er flieht?
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