Totenfeuer
ihrer Reitstiefel auf der hölzernen Treppe.
Fernando sieht sich in dem Raum um. »Doch, ja, sehr nett hier. Gibt es eigentlich auch eine Sendung, die Bäuerin sucht Mann heißt?«
Von draußen klingt es, als würde man dicke Holzscheite die Stufen hinunterwerfen. Jule und Fernando sind aufgestanden, um die Jungs in Empfang zu nehmen, aber es geschieht nichts. Niemand betritt den Raum. Vor dem Haus knattert ein Motor.
»Verdammte Scheiße, der haut ab!« Fernando stürzt aus dem Zimmer, gefolgt von Jule. In der Eingangshalle, deren Tür weit geöffnet ist, stehen Ole Lammers und seine Mutter, Letztere hat eine Hand auf den Mund gepresst, als wolle sie einen Schrei zurückhalten. Jule und Fernando rennen ins Freie. Hinter der Pferdekoppel holpert ein Moped über die Wiese. Fernando rennt zum Auto, aber Jule ruft ihm zu: »Lass! Damit kommen wir nicht weit.« Sie hat eine bessere Idee. »Sie gestatten«, sagt sie zu Frau Lammers, die nun ebenfalls auf dem Hof steht. Ehe sie begreift, was Jule vorhat, und antworten kann, hat diese das Pferd losgebunden, sich in den Sattel geschwungen und prescht aus der Einfahrt, dem fliehenden Torsten Gutensohn hinterher.
Frau Lammers ist für ein paar Momente sprachlos, ebenso Fernando, der sich jedoch rasch fängt, sein Telefon zückt und eine Streife ruft.
»Komm ja nicht auf dumme Ideen, sonst verpass ich dir Handschellen«, sagt er dann zu Ole Lammers, der seinem Kumpel mit offenem Mund hinterherstarrt.
Oles Mutter wirft Fernando einen tadelnden Blick zu. Sie verliert angesichts der Ereignisse keineswegs die Fassung, sondern ist noch immer ganz Dame. »Wenn dem Pferd etwas passiert, werde ich Ihre Kollegin haftbar machen«, kündigt sie an, und zu ihrem Sohn sagt sie: »Was immer geschieht, Ole, du sagst kein Wort, ohne vorher mit unserem Anwalt gesprochen zu haben, hast du verstanden?« Der Junge nickt kaum merklich, und seine Mutter verschwindet im Haus, vermutlich, um mit dem Anwalt zu telefonieren, während Ole und Fernando beobachten, wie Jule mit fliegendem Haar in Richtung Süllberg reitet.
Die Stute kommt auf dem weichen Boden des frisch eingesäten Ackers nicht allzu schnell voran. Jule verzichtet darauf, das Tier anzutreiben, es hätte im Moment wenig Sinn. Auch das Moped sinkt tief in die Erde ein und bewegt sich nur schlingernd vorwärts. Torsten hat den Acker nun fast durchquert und hält auf einen ungepflasterten Weg zu, der an einem Hang entlang zum bewaldeten Süllberg hinaufführt. Ein Graben am Rand des Feldes kostet ihn Zeit, er muss sogar absteigen und sein Gefährt durch den Graben wuchten. Doch kaum hat er den Feldweg erreicht, kann Jule hören, wie der Junge Gas gibt. Sand und Dreck spritzen auf, eine bläuliche Abgasfahne steht in der Luft. Kurze Zeit später hat auch das Pferd den Weg erreicht, doch anders als das Moped nimmt die braune Stute den Graben mit einem lässigen Sprung. Nun hat sie wieder festeren Boden unter den Hufen, und Jule lässt dem Tier auf dem sandigen Weg freien Lauf. Der Abstand zu dem Flüchtenden verringert sich rasch, und kurz vor dem Waldrand ist das Moped nur noch wenige Pferdelängen weit entfernt. Jule steht jetzt im Sattel und treibt das Pferd zur Eile an. Wenn es Torsten gelingt, im Wald zu verschwinden, hat sie schlechte Karten, denn das Moped ist kleiner und wendiger als sie mit dem Pferd. Außerdem möchte sie die Gesundheit des Tieres nicht gefährden. »Polizei. Anhalten und absteigen!«, brüllt Jule, doch wahrscheinlich kann Torsten sie wegen des Geknatters des überdrehten Motors gar nicht hören. Normalerweise wäre nun ein Warnschuss angebracht, doch Jule will weder die Zügel loslassen noch das Pferd durch den Schuss erschrecken.
Der Wald besteht an dieser Stelle aus hohen Bäumen, zwischen denen sich Brombeerranken ausgebreitet haben. Da hinein wagt sich auch Torsten nicht, er bleibt am Waldrand. Der Weg, der dort entlangführt, ist nicht gerade das, was man einen gepflegten Reitweg nennt. Er liegt auf der Nordseite des Waldes, wo kaum ein Sonnenstrahl hinkommt, der Boden ist aufgeweicht, schwere Fahrzeuge haben bei der Holzernte tiefe Spurrillen hinterlassen. Zweimal rutschen der Stute die Hinterbeine weg, danach bevorzugt Jule den Acker. Doch auch hier ist Jule nicht schneller als Torsten, die beiden bleiben eine ganze Weile gleichauf. Ein eingezäuntes Grundstück zwingt Jule auf den schlammigen Weg zurück. Vor ihr rutscht das Moped über den Dreck. Der Fahrer ist inzwischen so schmutzig, dass man ihn
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