Totenfluss: Thriller (German Edition)
von ihr näher an sein Gesicht. Ein feiner Schweißfilm ließ ihre blasse Haut glänzen. Sie roch nach Osterlilien.
»Mir fehlt nichts«, sagte sie.
Da. Ein winziger brauner Fleck, am Handballen, nicht weit vom Handgelenk. Archie berührte ihn mit dem Zeigefinger. »Was ist das?«, sagte er und blickte auf.
Susan entzog ihm ihre Hände und steckte sie unter die Achselhöhlen. »Eine Sommersprosse«, sagte sie. »Ich wurde nicht angegriffen. Ich glaube, das hätte ich bemerkt.«
Archie drehte sich zum Tisch um. Ngyun, Heil und Flannigan hatten sich nicht bewegt. Alle starrten Susan an. Der Kühlschrank knirschte wütend. »Tüten Sie ihn ein«, sagte Archie zu Heil.
Heil blinzelte, kam dann zu sich und zog einen Beweismittelbeutel aus der Tasche, in den er den Schlüssel mithilfe eines Kugelschreibers versenkte.
»Woher haben Sie den Schlüssel?«, wiederholte Archie seine Frage an Susan.
»Er war, wie gesagt, in meiner Handtasche«, antwortete Susan. »Gefunden habe ich ihn, als ich in der betreuten Wohneinrichtung war. Aber ich weiß nicht, wie lange er da drin gelegen hat.«
»Okay«, sagte Archie. Er musste nachdenken, sich einen Reim auf alles machen, den Zeitpunkt eingrenzen. »Wann haben Sie Ihre Handtasche das letzte Mal sauber gemacht?«, sagte er.
Susan runzelte die Stirn. »Ich mache meine Handtasche nicht sauber. Ich kaufe einfach eine neue und schmeiße alles hinein, was ich brauche.«
Archie zog einen der leeren Stühle heran und bedeutete ihr, Platz zu nehmen. »Ich möchte, dass Sie mir erzählen, wo genau Sie in den letzten Tagen überall waren«, sagte er.
Sie warf ihre Handtasche auf den Tisch und ließ sich auf den Stuhl sinken. »Oaks Park«, sagte sie. »In der Zeitung. Im Leichenschauhaus. Im Waterfront Park. Im Krankenhaus. Daheim. Im Mississippi Magnolia Betreutes Wohnen.« Sie warf Archie einen Blick zu. »Wo es, nebenbei bemerkt, weit und breit keine Magnolie gibt.« Sie fuchtelte mit den Händen. »Und hier.«
»Haben Sie Ihre Handtasche einmal irgendwo allein stehen gelassen?«, fragte Archie.
»Nein.«
»Sie haben Sie nicht im Krankenhaus abgestellt? Über eine Stuhllehne gehängt? Im Park auf den Boden gestellt, während Sie sich um Henry gekümmert haben?«
»Ich trage sie«, sagte sie. »Ich stelle sie nicht ab.« Sie gab der Handtasche einen leichten Stoß, aber sie war so voll, dass sie sich nicht bewegte. »Da sind meine Zigaretten und mein Handy drin.«
Die Handtasche stand wie eine seltsame Tischdekoration in der Mitte zwischen ihnen allen. Sie war aus geflochtenem Leder, mit Doppelgriffen und einem ledernen Umhängeriemen, der mit zwei goldenen Schnallen befestigt war. Es gab keinen Reißverschluss und keine Klappe, und sie stand weit offen. Archie konnte die Ecke einer Geldbörse sehen, den Deckel einer Wasserflasche und eine Sonnenbrille, die Susan bis Juli nicht brauchen würde.
»Sie ist offen«, sagte er.
»Es ist eine Bottega Veneta«, sagte Heil. »Man trägt sie so. Reese Witherspoon hat auch so eine.«
»Genau«, sagte Susan.
Archie und die andern beiden Detectives sahen Heil an.
»Meine Frau lässt immer InStyle auf dem Klo liegen«, sagte Heil.
»Wie tragen Sie die Tasche?«, fragte Archie Susan.
Sie sah ihn an, als wäre er verrückt. »Sie haben mich schon hundertmal mit dieser Tasche gesehen.«
Er konnte sich nicht erinnern, sie jemals mit dieser Tasche gesehen zu haben, aber das hatte nichts zu bedeuten. Schöner Detective.
»Tragen Sie sie«, sagte er. »Bitte.«
Sie legte die Hände auf den Tisch und stieß sich mit einem übertriebenen Seufzer vom Stuhl hoch. Dann hängte sie sich die Tasche um, und zwar so, dass sie hinter ihrer linken Hüfte auflag. »So«, sagte sie. »Zufrieden?«
»Drehen Sie sich um«, sagte Archie.
Susan drehte sich um, und dann schaute sie über die Schulter auf die Handtasche, auf die Detectives am Tisch, auf Archie.
Archie machte einen Schritt auf sie zu, sodass kaum dreißig Zentimeter Abstand zwischen ihnen war, und schob seine Hand über die offene Tasche. Susans Blick folgte seiner Hand.
»Er hat sich einfach von hinten an sie herangeschlichen«, sagte Heil.
»Dieses Arschloch«, sagte Susan.
Der Mörder war nahe genug gewesen, um sie zu berühren, und ihre Reaktion bestand darin, stinksauer zu sein. Das gefiel Archie an Susan.
Er hörte ein Klopfen und sah zu der Tür, die Susan angelehnt gelassen hatte. Eine Streifenpolizistin spähte zu ihnen herein. Archie kannte sie nicht – sie gehörte zu
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