Totenflut
Mädchen!«
Kapitel 13
Der Regen war stärker geworden. Von Osten her blies jetzt ein kühler, böiger Wind. Es war kaum wärmer als an einem Tag im Oktober. Das Wetter spielte verrückt. Und keiner konnte sich erklären, warum. Dieser Sommer würde als einer der schlechtesten in die Geschichte des Osnabrücker Landes eingehen. Und als der grausamste.
Schröder und Elin standen auf der Lichtung. Jedes der siebzehn Gräber war mit Absperrband umzäunt, das lautstark im Wind flatterte. Elin machte Fotos. Schröder suchte nach weiteren Spuren im Morast.
»Haben Sie Abdrücke gefunden, bevor die Bagger hier alles zerstört haben?«, fragte Elin. Sie musste laut sprechen, damit Schröder sie verstehen konnte.
»Nein, leider nicht.«
»Warum haben Sie das nicht veranlasst?«, fragte sie und schützte ihre Augen mit einer Hand vor dem Regen.
»Ich war zu der Zeit beurlaubt.«
Das hatte Elin nicht gewusst. Auch sie merkte, dass Wegener nur ganz bestimmte Informationen weitergab.
»Darf ich fragen, warum?«
»Dürfen Sie nicht.«
Elin kam auf Schröder zugewatet und stellte sich dicht neben ihn.
»Hören Sie, wir müssen eine Zeit lang miteinander auskommen. Auf Dauer halte ich so eine Spannung zwischen uns nicht aus. Kommen Sie mir wenigstens ein bisschen entgegen. Ich bin Elin, wie heiÃen Sie?«
Elin streckte ihm die Hand hin, doch Schröder machte keine Anstalten, einzuschlagen.
»Schröder!«
»Ich weiÃ, ich will Ihren Vornamen wissen!«
»Schröder!«
Elin bedrängte ihn zu sehr, sie kam ihm einfach zu nahe. Schröder konnte das nicht ertragen, stand auf und ging ein Stück in den Wald hinein. Nach ein paar Schritten drehte er sich vorsichtig um, um zu sehen, wie sie auf seine Abfuhr reagierte. Vielleicht tat es ihm sogar ein wenig leid, so schroff gewesen zu sein, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. Elin schoss weiter ihre Fotos. Und so richtete Schröder seinen Fokus wieder auf den Wald. Er suchte nach abgebrochenen Zweigen, Stoffresten, verlorenen Gegenständen, irgendetwas, das ihm zeigte, dass jemand hier gewesen war. Siebzehn Mal. Siebzehn Mal hatte jemand eine Leiche an diese Stelle geschleppt. Er musste Spuren hinterlassen haben. Doch dieser verdammte Regen wusch alles fort.
Ein Stück weiter nördlich zwischen kniehohen Farnen entdeckte Schröder einen Trampelpfad. Sofort schlug sein Herz schneller. Und vielleicht war der Regen jetzt doch auf seiner Seite. Er folgte dem Weg weiter in den Wald hinein und fand schlieÃlich, wonach er gesucht hatte. An einer Stelle war der Weg aufgeweicht. Ein abgebrochener Ast, der von den Herbststürmen im letzten Jahr herrührte, lag im Unterholz. Er hatte eine Lücke in der Baumkrone hinterlassen, durch die der Regen ungehindert fallen konnte, und eine Pfütze hatte sich gebildet. Schröder hockte sich hin, drückte die Farne beiseite und sah etwas, dass ihn schlucken lieÃ. Dort waren zwei FuÃabdrücke in der Erde. Sie überlappten sich und waren schlecht zu erkennen, aber sie waren da. Er hatte es gefunden. Das, was er brauchte, das, was ihn dem Täter näherbrachte. Er spürte es förmlich. Gerade wollte er nach Elin rufen, als er seinen Namen durch das Dickicht schallen hörte. Es war Elin, die nach ihm rief, und ihre Stimme klang so, als hätte auch sie etwas Wichtiges entdeckt.
Schröder lief zurück auf die Lichtung. Elin suchte in allen Richtungen nach ihm und rief immer wieder seinen Namen. Hastig humpelte er über den unwegsamen Boden. An einer Stelle vertrat er sich, und sein Bein setzte so unglücklich auf, dass der Schmerz in seinen Rücken schoss und er kurz aufschrie. Elin entging das nicht.
»Also doch der Ischias!«, sagte sie triumphierend.
»Was ist los, verdammt? Was schreien Sie so herum?«
»Sehen Sie sich um! Fällt Ihnen was auf?«
Schröder kniff die Augen zusammen, um im Regen besser sehen zu können. Er drehte sich einmal um seine eigene Achse.
»Hat das eine Struktur?«, fragte Elin.
Schröder sah noch mal hin und nahm sich Zeit.
»Das könnten Kreise sein!«, sagte er.
»Das finde ich auch!«
Es dauerte zwei Stunden, bis sie einen Hubschrauber organisiert hatten und einen Piloten, der bereit war, bei dem Wetter zu starten. Dort unten, inmitten der abgesperrten Löcher, hatte man etwas erahnen können, eine Form
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