Totenflut
verlassen. Nicht jede Erkenntnis war ein Gewinn. Wahrlich nicht.
»Schon gut, Junge! Niemand hat schuld daran! Es ist, wie es ist. Du kannst mich nicht pflegen. Und ich kann nicht allein leben. Wir müssen das beide akzeptieren.«
Schröder umarmte seinen Vater. Er drückte ihn ganz fest an sich und konnte sich nicht mehr erinnern, wann er das das letzte Mal getan hatte. Er musste ein Kind gewesen sein. Schröder schloss die Augen und wollte seinen Vater nicht mehr loslassen.
Kapitel 22
Es war stockfinster in der Halle. Nur eine einzelne Lampe warf einen eisigen Lichtkegel auf die Frau auf dem Stuhl. Sie war nackt und gefesselt und jammerte kläglich wie ein Tier. Ihre Haare klebten in nassen Strähnen an ihrem Kopf und ihrem Hals. Eine metallene Klammer spreizte ihre Kiefer auseinander. Die Zunge bewegte sich wie ein Tier in ihrem Rachen. Sie bebte vor Angst. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Die nackte Panik stand in ihnen.
Plötzlich öffnete sich quietschend eine schwere Tür und fiel wieder ins Schloss. Die Frau blickte um sich. Wild rollten ihre groÃen weiÃen Augäpfel herum, wollten sehen, wollten erkennen, wer die Halle betreten hatte und was er ihr antun wollte. Aber die Finsternis um sie herum war undurchdringlich. Schritte kamen auf sie zu. Mit aller Kraft versuchte sie, sich aus den Fesseln zu befreien, doch die Kabel schnitten ihr nur tiefer ins Fleisch, je wilder sie daran zerrte. Die Schritte verhallten. Jemand stand direkt vor ihr. Sie konnte ihn nicht sehen. Sie sah nur eine weiÃe Atemwolke, die in den Lichtkegel wirbelte. Der Unsichtbare atmete einmal, zweimal, dreimal, dann schoss eine Hand aus der Dunkelheit hervor und packte ihre Zunge. Die zweite Hand tauchte in das Licht ein. Die Klinge eines Skalpells blitzte auf. Die Frau begann zu schreien.
Das Blut aus ihrem Mund tropfte ins Wasser, als der Mann ihr einen Stoà versetzte und sie vornüber in das kleine Bassin stürzte. Das Bassin war gerade mal einen Quadratmeter groà und direkt in den Boden eingelassen. Ihre Hände und FüÃe waren immer noch gefesselt. Das Blut färbte das Wasser hellrot. Sie schrie um Hilfe, doch sie war nicht mehr zu verstehen ohne ihre Zunge. Ein eisernes Gitter wurde über ihr geschlossen und drückte sie immer tiefer in die Knie. Zwischen Gitter und dem Wasser war gerade so viel Platz, dass sie ihren Kopf über Wasser halten konnte. Doch ihre Nasenspitze berührte schon die Wasseroberfläche. Der Mann schaltete eine Videokamera ein. Die Frau konnte sich nicht mehr lange so halten. Ihre Beine gaben nach, sie tauchte unter und musste Wasser schlucken. Sofort stemmte sie sich wieder hoch und knallte mit dem Rücken gegen das Gitter. Ihre Beine begannen zu zittern. Ihre Muskeln verkrampften in dem kalten Wasser. Einige Minuten konnte sie sich noch so halten, dann gaben ihre Kräfte nach und sie ging unter.
Kapitel 23
Elins Pressekonferenz und ihr Aufruf an die Ãffentlichkeit hatten eine wahre Lawine ausgelöst. Nicht nur in der Bevölkerung hatte sich eine Hysterie breitgemacht, sondern auch in der Presse und den Medien.
In der Zentrale gingen täglich Tausende Anrufe ein mit Hinweisen auf den Mörder. Es schien, als ob jeder Bürger dieser Stadt dem Mörder bereits einmal begegnet war oder ihn gar persönlich kannte. Was Elin und Schröder bereits vermutet hatten, dass alle Eltern Panik bekommen würden, trat natürlich ein, und sie lieÃen ihre Kinder kaum noch aus dem Haus gehen. In wenigen Tagen hatten sich überall Fahrgemeinschaften gebildet, die die schulpflichtigen Kinder zur Schule und wieder nach Hause eskortierten. Bürgerwehren patrouillierten nachts durch die StraÃen, und Discos und Nachtclubs hatten kaum noch Besucher. Osnabrück befand sich im Ausnahmezustand. Das Phantom war überall wie ein Geist zugegen. In jeder StraÃe, in jedem Haus, in jedem Kopf schwirrte es herum und versetzte alles in eine Starre aus Angst.
Und noch etwas passierte. Eine Schwemme an Medienvertretern drohte die Stadt wie eine Flutwelle zu überspülen. Aus aller Welt waren Presse- und Fernsehteams angereist, die jegliche Hotels, Pensionen und Unterkünfte bis aufs letzte Bett ausfüllten. Osnabrück platzte aus allen Nähten wegen eines plötzlich aufkeimenden Serienkillertourismus, der eine Unzahl von Hobbykriminologen, sensationsgierigen Gaffern und sektenartigen Gruppierungen in die Stadt schwemmte. In
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