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Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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erteilt. Mark musste sterben, er hat den Mann mit der Kamera aufgestöbert, den Mann, der tausende Male abgedrückt hatte. Er fotografierte, er genoss es, fünf Jahre lang hat er das Grauen festgehalten. Für immer auf Papier gebannt ihre Schreie, die Verzweiflung, irgendwo verborgen die Beweise für ein Verbrechen, irgendwo verborgen, Beweise, die Dunja nicht hatte. Niemand hatte ihr geglaubt, nur Mark. Jetzt auch Blum. Das Grauen treibt sie an. Egal wie schnell sie fährt, es ist da.
    Einhundertsechzig Stundenkilometer über die Bergstraße. Angst spürt sie nicht, keine Sekunde. Nur Wut. Keine Angst vor dem Tod, keine Angst vor diesen Männern, nur Hass und die Straße unter ihr, die Reifen und alles, was vor ihr liegt, was kommt. Sölden. Was hinter ihr liegt, Mark. Alles, was sie Dunja angetan haben, diese Gewalt, diese Ohnmacht. Blum wird sie finden, Blum wird herausfinden, wer in dem Rover saß. Sie wird nicht aufhören zu fragen, sie wird sich festbeißen und nicht mehr loslassen.
    Blum fährt in Sölden ein. Überall geschlossene Hotels, leere Straßen. Dort, wo im Winter Massen über die Gehsteige torkeln, ist es jetzt still, dieses Dorf ist wie viele andere Tiroler Tourismusorte nur für den Winter gemacht. Egal wie sehr man versucht, den Sommertourismus anzukurbeln, die Gäste bleiben aus. Viele Hoteliers schließen lieber, als nur für eine Handvoll Gäste zu kochen. Sölden, Tourismushochburg, Mekka für Skifahrer, seit einigen Jahren auch das Ziel reicher Russen. Doch jetzt keine Spur von ihnen, keine goldenen Skianzüge, keine dreistelligen Trinkgelder, keine Schirmbars mit Musik und Betrunkenen. Nichts davon, nur Gras auf den Pisten. Stille, hässliche, leere Architektursünden, wo man hinschaut, irgendwo hinten die Landschaft. Der Gletscher, er steht da wie immer, ganz hinten im Tal. Nur ein Berg, denkt Blum. Nur ein Berg, und weiter im Schritttempo durch den Ort. Geschlossene Bars, Schilder, die zu den Hotels führen, Alpenblick, Edelweiß, Bergblick, Alpenrose, Felseneck, Zirbenhof, Lerchenhof, Rosenhof. Und dann der Annenhof. Hinter dem Liftparkplatz. Wie verlassen alles ist, wie trist. Die Vorstellung, hier zu leben, dieses Warten auf den Winter, dieses Leben, das nur halb stattfindet, die geschlossenen Läden, ein schlafendes Dorf. Die zwei Wanderer, die Blum entgegenkommen, wirken verloren, der graue Himmel macht das Bild noch trauriger. Zwei alte Menschen überqueren einen leeren Parkplatz im Sommer. Wie sie die Stufen nach oben gehen. In den Annenhof, eines der wenigen Hotels, die geöffnet haben. Das Hotel, in dem alles begonnen hat. Blum stellt das Motorrad ab.
    Sie geht durch die Halle an die Bar. Zuerst der Kellner. Sie wird in Ruhe bei einem Bier mit ihm reden, formlos, mit ihm flirten vielleicht. Alles, was nötig ist. Blum wird das Hotel erst wieder verlassen, wenn sie mehr weiß. Mehr, als dass das Hotel verkauft worden ist. Blum will Tratsch, Gerüchte, sie will hinter die Kulissen schauen. Nur dort erfährt man etwas. Das hat Mark immer gesagt. Mit einem Lächeln setzt sie sich hin und bestellt. Sie ist allein an der Bar. Fast hat sie das Gefühl, sie ist allein im Hotel. Der Kellner poliert Gläser, es gibt nichts zu tun, als mit Blum über die Vergangenheit zu reden.
    – Ein Bier, bitte.
    – Ein großes?
    – Unbedingt.
    – Weit gefahren?
    – Eine kleine Runde nur.
    – Es ist schön hier, nicht wahr?
    – Finden Sie?
    – Sie nicht?
    – Nein.
    – Warum sind Sie dann hier?
    – Warum sind Sie hier? Sie klingen nach Ostdeutschland, ist ja nicht gerade der kürzeste Weg.
    – Hier gibt es Arbeit. Und ich darf so hübsche Damen bedienen, wie Sie eine sind.
    – Danke.
    – Gerne. Das Bier ist übrigens auch aus Ostdeutschland.
    – Warum?
    – Der Chef ist auch aus Ostdeutschland.
    – Im Ernst?
    – Ist das schlimm für Sie?
    – Schon, ja.
    – Warum?
    – Früher waren die Deutschen hier Gäste.
    – Sind sie immer noch.
    – Aber jetzt werden sie von Deutschen bedient.
    – Und?
    – Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich finde gut, dass Sie Arbeit gefunden haben, dass Sie hier sind. Es wundert mich nur, dass sich keine Tiroler mehr finden, die diese Jobs machen wollen.
    – Das war doch früher auch schon so.
    – War es das?
    – Hier haben Rumänen gearbeitet. Haufenweise Leute aus dem Ostblock, Tiroler waren auch früher schon rar hier.
    – Leute aus dem Ostblock?
    – Ja.
    – Legal?
    – Nein.
    – Schwarzarbeiter?
    – Unter anderem deshalb wurde das Hotel wohl

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