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Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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dann ist sie ungehindert durch die Tür gegangen. Was Spurensicherung ist, ist ihr vertraut. Wie viele Leichen sie schon abgeholt hat, in die Gerichtsmedizin gebracht hat. Leichen, die darauf schließen ließen, dass ein Verbrechen passiert war. Die Männer in den weißen Overalls sichern Spuren, Fingerabdrücke werden genommen, DNA-Proben. Blum sucht ihn, Massimo, sie geht zu ihm. Das ganze Dezernat ist auf den Beinen, sie packen alles ein, das ihnen weiterhelfen könnte. Aber sie wissen nicht, wonach sie suchen. Man sieht es in Massimos Gesicht. Alles ist ein Rätsel. Ein Priester, der zum Opfer wurde. Ein Mann ohne Feinde. Einer, der sich in den Dienst Gottes gestellt hat. Einer, der Gutes getan hat. Wer sollte ihm schaden wollen, wer hätte einen Grund, ihn zu verbrennen und zu enthaupten? Seinen Kopf wie ein Mahnmal an die Domtür zu hängen. Das Einzige, was sie tun können, ist Spuren zu sichern, mit Freunden und Vertrauten zu reden, sein Leben zu durchleuchten, nach Ungereimtheiten zu suchen, nach Ungewöhnlichem. Ahnungslos streifen sie durch die Wohnung. Ahnungslos küsst Massimo sie links und rechts auf die Wange. Komm, lass uns kurz runter in die Vinothek gehen , sagt er. Bitte, darf ich kurz bleiben , sagt sie.
    Blum kann ihn überreden. Sie darf bleiben, kurz. Wegen Mark, sagt sie. Sie möchte sich an ihn erinnern, an seine Arbeit, was er getan hat. Sie sieht ihn vor sich. Normalerweise würde er jetzt hier sein. Dinge eintüten, Fingerabdrücke nehmen. Seit sie Jaunig gestern früh gefunden haben, wäre Mark im Dauereinsatz gewesen, genauso wie Massimo. Jeder kümmert sich im Moment um diesen Fall. Die Kirche, die Politik, die Gläubigen, alle schreien nach Aufklärung. Blum hört sie. Ihr Entsetzen, ihre Angst vor einem Monster. Jaunig ist hingerichtet worden, alle suchen nach seinem Richter. Alle suchen nach Blum.
    Unauffällig setzt sie sich in eine Ecke, an seinen Arbeitstisch. Hier sind wir schon fertig , sagt Massimo. Blum sitzt auf seinem Stuhl, ihre Augen wandern durch den Raum, sie sehen alles, was er gesehen hat. Herbert Jaunig. Er wird nie wieder hier sitzen, er wird nie wieder ein Buch aus dem Regal nehmen, er wird nie wieder beten. Nie wieder vergewaltigen. Blum hat dafür gesorgt. Zufrieden sitzt sie da und schaut zu. Dass sie Massimo nicht um Hilfe gebeten hat, war richtig. Wie hätte er ihr helfen können? Er hätte alles, woran er glaubt, vergessen müssen, er hätte lügen müssen für sie, ein Verbrechen decken. Das kann sie ihm nicht antun. Ihn in diese Situation bringen. Sie kann es nicht. Sie will es auch nicht. Es ist ihre Geschichte, nicht seine. Sie hat es angefangen, sie wird es zu Ende bringen. Irgendwie.
    Zehn Minuten lang sitzt sie da. Dann bittet Massimo sie, zu gehen. Er begleitet sie nach unten, in der Hauseinfahrt umarmt er sie, küsst sie. Er ist ungeduldig, er ist gierig, er will sie. Seine Lippen liegen plötzlich auf den ihren, seine Zunge in ihrem Mund, ohne Vorwarnung, sein Körper ganz nah. Blum lässt es zu. Was er macht, wonach er sich sehnt, die Liebe, nach der er schreit. In sich spürt sie sie nicht. Sie sucht danach, aber sie findet sie nicht. Da ist nur er, sein Verlangen, seine Hände auf ihr, sein Flüstern, sein Wollen. Massimo. Wie schwer es ihr fällt, ihn zurückzuweisen, ihm zu sagen, dass sie es nicht kann, dass er es verstehen soll. Dass sie nur an Mark denkt. Und an Jaunig. An die Männer, die ihn ihr weggenommen haben, die ihn von ihrem Leib gerissen haben, seine Zärtlichkeit, seine Liebe. Nur daran denkt sie. Dass sie nicht aufhören wird, nach ihnen zu suchen. Dass sie auch die anderen finden wird. Den Clown, den Koch, den Jäger.

33

Er hat sie am Arm gepackt. Danach. Nachdem sie sich von Massimo verabschiedet hatte. Sie wollte noch bleiben, noch einen Moment in der Vinothek sitzen, etwas trinken, darüber nachdenken, was passiert war. Der Kuss. Was sie gesehen hatte in der Wohnung des Priesters. Sie hatte Massimo umarmt, war in das Lokal gegangen und hatte Weißwein bestellt. Ein Glas vor der nächsten Leiche, vor der nächsten Abholung. Ein Glas, das es leichter machen sollte. Der Wein war gerade in ihrem Mund angekommen, als Schönborn plötzlich neben ihr stand und sie packte. Seine fleischigen Finger um ihren Unterarm, seine Finger, die sagten, dass er es ernst meinte. Sein Gesicht ganz nah. Wie er sie wieder losließ. Was er sagte. Wie er es sagte.
    – Was haben Sie mit meinem Sohn gemacht?
    – Wie bitte?
    – Er ist verschwunden,

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