Totengeld (German Edition)
hätte achtzig verdient gehabt.
Verfaulte Zähne. Einstichspuren. Spermaflecken. Fünfzehn beschissene Jahre.
Eine ganze Minute lang waren das Summen der Neonröhren und das Pfeifen der Luft in Slidells Nase die einzigen Geräusche im Raum.
»Ich könnte mir ja vielleicht die Klamotten vornehmen, herausfinden, wo sie gekauft worden sind.« Slidell steckte sich das Notizbuch ins Sakko. »Die Stiefel könnten was bringen.«
Meine Gedanken hatten sich vomWie zumWer bewegt.Wer hatte dieses Mädchen mit dem Gesicht nach unten auf demAsphalt liegen lassen? Ein Betrunkener, der so beeinträchtigt war, dass er sie im Dunklen nicht sah? Zu gefühllos, um anzuhalten? Oder ein Mörder, der genau dieses R esultat beabsichtigt hatte?
»Sonst noch was?« Ich brachte die Frage kaum heraus.
Larabee schüttelte nur kurz den Kopf.
Ich nickte Slidell zu und kehrte in mein Büro zurück. Setzte mich an den Schreibtisch. Nervös. Beklommen.
Slidell war ein guter Polizist.Aber er neigte stark zu Defätismus. Da er überzeugt war, dass das Mädchen eine Prostituierte und ein Junkie war, zudem illegal eingewandert oder hierher verschleppt, stellte sich mir die Frage, ob er genügend Energie für die Jagd nach dem Mörder aufbringen würde.
Ja, das würde er, musste ich mir eingestehen. Ob Junkie-Nutte oder nicht, das Mädchen war tot in Skinnys R evier gefunden worden, und das betrachtete er als persönliche Herausforderung.
Warum war ich dann so besorgt?
Wegen Katy?Wegen des zurückgelassenenAutos und der Handtasche darin?Wegen meiner Blasen?
Was auch immer.
Ich ging zurToilette und spritzte mir kaltesWasser ins Gesicht. Schaute in den Spiegel. Musterte das Gesicht, das mir entgegenstarrte.
Intensive grüneAugen. Müde, aber entschlossen. Ein paar wohlverdiente Fältchen an denAugenwinkeln. Kinn und Lider noch fest. Dunkelblonde Haare, zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, der nicht eben vorteilhaft aussah.
»Na dann. Zu den peruanischen Hunden.«
Das Bild im Spiegel sprach dieselbenWorte. Nickte dasselbe Nicken.
Ich knüllte das Handtuch zusammen, warf es in denAbfall und trat auf den Gang.
Das neue MCME-Institut ist zwar riesig, mein Büro allerdings nicht. Ein Makler würde es als schnuckelig und gemütlich anpreisen. Mein Schreibtisch nimmt den größtenTeil des Platzes ein.Aktenschränke, ein Garderobenständer.Wenn Larabee zu mir kommt, ist die Bude überfüllt.Wenn Slidell der Besucher ist, kann man dasAtmen vergessen.
Ich bin mit meinen paar Quadratmetern zufrieden. Sie gehören mir. Hier hat mir keiner was zu sagen. Ich benutze das Büro vorwiegend, um Berichte zu schreiben oderAkten zu studieren.Wie diejenige, die jetzt auf meiner Schreibunterlage wartete.
Ich setzte mich und schlug sie auf. Oben war einAntragsformular für ein anthropologisches Gutachten. Ich überflog den Inhalt.
Fallnummer. Leichenhallennummer. PolizeilichesAktenzeichen. Bearbeitender Beamter, Behörde. Larabee war der Pathologe, der denAntrag gestellt hatte.
Ich sprang zur Zusammenfassung bekannter Fakten. Der kurze, handgeschriebeneAbsatz enthielt nichts, was ich nicht schon von Slidell gehört hatte.Verdacht auf geschmuggelteAntiquitäten, Objekte, die im Charlotte DouglasAirport konfisziert worden waren. Dominick R ockett.
Dann zur Beschreibung der Proben. Die fraglichen Objekte waren als Mumienbündel identifiziert. Vier Stück. Peruanischer Herkunft. Möglicherweise Inka. Wahrscheinlich von einem Friedhof.
Mein Blick wanderte zum letztenAbsatz: Erforderliches Gutachten. Die Kästchen neben Exhumierung, Biologisches Profil und Verletzungsanalyse waren leer. Unter der Kategorie Sonstiges standen sechs handgeschriebeneWorte: Analyse und schriftlicher Bericht. Menschliche Überreste?
Ich legte das Formular beiseite und blätterte den Stapel Fotos durch.
Auf den ersten dreien lagen die Bündel nebeneinander, die Umhüllungen intakt. Obwohl vertrocknet und vomAlter verfärbt, schienen sie alle in ziemlich gutem Zustand zu sein.Was auch zu erwarten gewesen war. Die peruanischeWüste hatte für eine relativ trockene Umgebung gesorgt, also Bedingungen, die Erhaltung begünstigten.
Die nächsten Fotos zeigten eins der Bündel halb aufgewickelt. Ich betrachtete etwas, das aussah wie ein verschrumpelter Hundekopf, die Lider geschlossen, an einem platt gedrückten Ohr noch Fell.
Ich dachte zurück an mein Studium, ein Seminar über südamerikanischeArchäologie. Doch es kamen nicht mehr als ein paar Grundbegriffe. Fünfzehntes
Weitere Kostenlose Bücher