Totengeld (German Edition)
Zentimeter lang und am dickeren Ende einen halben Zentimeter breit. Das schmalere Ende verengte sich zu einer sehr scharfen Spitze.
Die Farbe sah korrekt aus. Das Gewicht war okay.
Ich drückte mir das kleine Dreieck ans Handgelenk. Es fühlte sich auf der Haut kühl an. Gut.
Und doch stimmte etwas nicht.
Mit einem komischen Gefühl holte ich eine Lupe, Streichhölzer und Sicherheitsnadeln aus meiner Schreibtischschublade.
In der Vergrößerung sollte die äußere Oberfläche eines Knochens winzige Poren aufweisen, manchmal schwarz oder braun von Erde oder anderen Verunreinigungen. Larabees Splitter sah merkwürdig homogen aus, wie Porzellan oder Keramik.
Plastik? Harz?
Ich legte den Splitter auf die Schreibunterlage, öffnete eine Sicherheitsnadel, zündete ein Streichholz an und erhitzte die Spitze, bis sie rot glühte. Dann drückte ich die heiße Spitze in den Splitter.
Obwohl ein schwach organischer Geruch aufstieg, brannte die Oberfläche nicht. Der Splitter war also weder Plastik noch Harz. Damit blieb Knochen oder Elfenbein.
Aber für Knochen sah das Material viel zu glatt und einheitlich aus.
Den Kopf voller Fragen, eilte ich in den Stinker-Saal und legte den Splitter mit der Bruchkante nach oben unter das Seziermikroskop. Dann stellte ich Licht undVergrößerung ein.
Und da im Querschnitt sah ich sie. Hunter-Schreger-Bänder.Winzige geknickte Linien, wie ein Band aus lauterV. IhrVorhandensein bedeutete, dass das Material vom Stoßzahn eines Elefanten oder eines Mammuts stammte. DieWinkel der winzigenV konnten auf dieArt hindeuten, doch hier ließ mich mein Gedächtnis im Stich.
Verwirrt starrte ich durchs Mikroskop.Wie kam Elfenbein in die Schädelschwarte eines Fahrerfluchtopfers?
Plötzlich musste ich unbedingt mit Slidell reden. Ich rannte in mein Büro zurück, steckte den Splitter wieder in das R öhrchen und wählte seine Nummer.
Zum dritten Mal an diesemTag landete ich auf seinem AB .
»Verdammt noch mal!«
VorAufregung und weil ich in diesemAugenblick keine Kacke aus einer Hirnschale kratzen wollte, drückte ich den Nachrichtenknopf auf meinemTelefon und nannte dann, nicht besonders freundlich, den Code für meine Mailbox.
Nachricht um Nachricht arbeitete ich mich durch zehnTage angehäuftes Gelaber.
Eine Frage vom obersten Medical Examiner in Raleigh. Eine andere von einem Kollegen inWisconsin. Diese beiden löschte ich nicht. ZweiAufleger. Eine interne Mahnung wegen des Missbrauchs des Kühlschranks imAufenthaltsraum. DreiAnfragen von Medienleuten. Das alles löschte ich.
Die letzte Nachricht stoppte meine Finger, die genervt auf die Schreibunterlage trommelten.
29
DerAnruf stammte von einer Frau, gemurmelteWorte auf Englisch mit starkemAkzent. Hintergrundgeräusche machten das meiste des Gesagten unverständlich.
»… will sagen, aber … Mädchen, das … kein Unfall …«
Die Lautstärke schwankte stark, als würde die Frau immer wieder den Kopf drehen und die Lippen von der Sprechmuschel entfernen.Vielleicht änderte sich aber einfach nur die Signalstärke.
Die Stimme kam mir irgendwie bekannt vor. Oder vielleicht war es derTonfall, die Dringlichkeit.
Ping.
War es dieselbe Person, die mich aus derTelefonzelle am Seneca Square angerufen hatte?
Ich hielt denAtem an, damit mir keinWort, keine Nuance entging.
»… Passion Fruit … Laden … gehen … nicht richtig …«
Im Hintergrund hörte ich Geschrei. Rief da jemand nach der Frau? Oder bedrohte sie?
Wieder und wieder hörte ich mir die Nachricht an, mein Stift schreibbereit über Papier schwebend. Doch ich notierte mir so gut wie nichts.
Ich erhalte Hunderte vonAnrufen, höre Unmengen von Nachrichten ab, manche nützlich, andere Unsinn und wieder andere das traurige Gefasel von Hinterbliebenen. Im Lauf der Jahre habe ich einen Instinkt dafür entwickelt, welche Nachrichten ich ernst nehmen muss. DieserAnruf gehörte dazu.
Ich überprüfte dieVerbindungsdaten. DerAnruf war am vergangenen Freitag in der Zentrale eingegangen, einenTag nach Stallings ’ Artikel im Observer.
Ich betrachtete die wenigenWorte, die ich hingekritzelt hatte. Mein Bauch sagte mir, dass mit Passion Fruit nicht die exotische Frucht gemeint war.
Ich gab den Namen bei Google ein. Volltreffer. Der Passion Fruit Club lag an der Griffith, in einer Gegend, in der man sich vorwiegend um die Bedürfnisse männlicher Gäste kümmerte.
Ich griff zum Hörer und rief Mrs. Flowers an.
»Ja, Dr. Brennan.«
»Ich habe am letzten Freitag um 13:31
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