Totengeld
Fuß.
»Die proximalen Phalangen –«
»Und was heißt das alles?«, fiel Slidell mir ins Wort.
»Sie war zwischen vierzehn und fünfzehn Jahre alt, als sie starb.«
Viel zu jung, um auch nur eine Ahnung davon zu haben, was das Leben zu bieten hatte. Fünfzehn Jahre. Sie hätte achtzig verdient gehabt.
Verfaulte Zähne. Einstichspuren. Spermaflecken. Fünfzehn beschissene Jahre.
Eine ganze Minute lang waren das Summen der Neonröhren und das Pfeifen der Luft in Slidells Nase die einzigen Geräusche im Raum.
»Ich könnte mir ja vielleicht die Klamotten vornehmen, herausfinden, wo sie gekauft worden sind.« Slidell steckte sich das Notizbuch ins Sakko. »Die Stiefel könnten was bringen.«
Meine Gedanken hatten sich vom Wie zum Wer bewegt. Wer hatte dieses Mädchen mit dem Gesicht nach unten auf dem Asphalt liegen lassen? Ein Betrunkener, der so beeinträchtigt war, dass er sie im Dunklen nicht sah? Zu gefühllos, um anzuhalten? Oder ein Mörder, der genau dieses Resultat beabsichtigt hatte?
»Sonst noch was?« Ich brachte die Frage kaum heraus.
Larabee schüttelte nur kurz den Kopf.
Ich nickte Slidell zu und kehrte in mein Büro zurück. Setzte mich an den Schreibtisch. Nervös. Beklommen.
Slidell war ein guter Polizist. Aber er neigte stark zu Defätismus. Da er überzeugt war, dass das Mädchen eine Prostituierte und ein Junkie war, zudem illegal eingewandert oder hierher verschleppt, stellte sich mir die Frage, ob er genügend Energie für die Jagd nach dem Mörder aufbringen würde.
Ja, das würde er, musste ich mir eingestehen. Ob Junkie-Nutte oder nicht, das Mädchen war tot in Skinnys Revier gefunden worden, und das betrachtete er als persönliche Herausforderung.
Warum war ich dann so besorgt?
Wegen Katy? Wegen des zurückgelassenen Autos und der Handtasche darin? Wegen meiner Blasen?
Was auch immer.
Ich ging zur Toilette und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Schaute in den Spiegel. Musterte das Gesicht, das mir entgegenstarrte.
Intensive grüne Augen. Müde, aber entschlossen. Ein paar wohlverdiente Fältchen an den Augenwinkeln. Kinn und Lider noch fest. Dunkelblonde Haare, zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, der nicht eben vorteilhaft aussah.
»Na dann. Zu den peruanischen Hunden.«
Das Bild im Spiegel sprach dieselben Worte. Nickte dasselbe Nicken.
Ich knüllte das Handtuch zusammen, warf es in den Abfall und trat auf den Gang.
Das neue MCME-Institut ist zwar riesig, mein Büro allerdings nicht. Ein Makler würde es als schnuckelig und gemütlich anpreisen. Mein Schreibtisch nimmt den größten Teil des Platzes ein. Aktenschränke, ein Garderobenständer. Wenn Larabee zu mir kommt, ist die Bude überfüllt. Wenn Slidell der Besucher ist, kann man das Atmen vergessen.
Ich bin mit meinen paar Quadratmetern zufrieden. Sie gehören mir. Hier hat mir keiner was zu sagen. Ich benutze das Büro vorwiegend, um Berichte zu schreiben oder Akten zu studieren. Wie diejenige, die jetzt auf meiner Schreibunterlage wartete.
Ich setzte mich und schlug sie auf. Oben war ein Antragsformular für ein anthropologisches Gutachten. Ich überflog den Inhalt.
Fallnummer. Leichenhallennummer. Polizeiliches Aktenzeichen. Bearbeitender Beamter, Behörde. Larabee war der Pathologe, der den Antrag gestellt hatte.
Ich sprang zur Zusammenfassung bekannter Fakten. Der kurze, handgeschriebene Absatz enthielt nichts, was ich nicht schon von Slidell gehört hatte. Verdacht auf geschmuggelte Antiquitäten, Objekte, die im Charlotte Douglas Airport konfisziert worden waren. Dominick Rockett.
Dann zur Beschreibung der Proben. Die fraglichen Objekte waren als Mumienbündel identifiziert. Vier Stück. Peruanischer Herkunft. Möglicherweise Inka. Wahrscheinlich von einem Friedhof.
Mein Blick wanderte zum letzten Absatz: Erforderliches Gutachten. Die Kästchen neben Exhumierung, Biologisches Profil und Verletzungsanalyse waren leer. Unter der Kategorie Sonstiges standen sechs handgeschriebene Worte: Analyse und schriftlicher Bericht. Menschliche Überreste?
Ich legte das Formular beiseite und blätterte den Stapel Fotos durch.
Auf den ersten dreien lagen die Bündel nebeneinander, die Umhüllungen intakt. Obwohl vertrocknet und vom Alter verfärbt, schienen sie alle in ziemlich gutem Zustand zu sein. Was auch zu erwarten gewesen war. Die peruanische Wüste hatte für eine relativ trockene Umgebung gesorgt, also Bedingungen, die Erhaltung begünstigten.
Die nächsten Fotos zeigten eins der Bündel halb
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