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Totengrund

Totengrund

Titel: Totengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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hatte, machte er gleich mit ihrem Gesicht weiter, und sie musste lachen. Ihr fiel auf, dass Rat sie beobachtete.
    »Wie lange ist Bear schon bei dir?«, fragte sie, während sie das dichte Winterfell des Hundes streichelte.
    »Ein paar Monate.«
    »Wo hast du ihn gefunden?«
    » Er hat mich gefunden.« Er streckte die Hand aus und lächelte, als Bear zu ihm zurückkam. »Eines Tages komme ich aus der Schule, und er läuft direkt auf mich zu. Ist mir nach Hause gefolgt.«
    Auch sie lächelte jetzt. »Ich nehme an, er brauchte einen Freund.«
    »Oder er wusste, dass ich einen brauchte.« Endlich sah er zu ihr auf. »Haben Sie einen Hund?«
    »Nein.«
    »Kinder?«
    Sie zögerte. »Nein.«
    »Wollten Sie keine?«
    »Es hat sich einfach nicht ergeben.« Sie seufzte. »Mein Leben ist … kompliziert.«
    »Muss es wohl sein. Wenn Sie nicht mal einen Hund halten können.«
    Sie lachte. »Stimmt. Ich muss dringend meine Prioritäten neu ordnen.«
    Wieder vergingen ein paar Minuten in Schweigen. Rat hob Bears Kopf und rieb sein Gesicht an der Schnauze des Hundes. Während sie am flackernden Feuer saß und den Jungen bei seiner stummen Zwiesprache mit dem Hund beobachtete, kam er ihr plötzlich viel jünger vor als seine sechzehn Jahre. Ein Kind im Körper eines Mannes.
    »Rat?«, fragte sie leise. »Weißt du, was aus deiner Mutter und deiner Schwester geworden ist?«
    Er hörte auf, den Hund zu streicheln, und seine Hand verharrte vollkommen regungslos. »Er hat sie mitgenommen.«
    »Der Prophet?«
    »Er trifft alle Entscheidungen.«
    »Aber du hast es nicht gesehen? Du warst nicht dabei, als es passierte?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Bist du in die anderen Häuser gegangen? Hast du …« Sie zögerte. »Hast du das Blut gesehen?«, fragte sie leise.
    »Ja, das hab ich.« Er hob den Kopf und sah sie an, und sie las in seiner Miene, dass ihm sehr wohl bewusst war, was dieses Blut bedeutete. Deswegen bin ich noch am Leben, dachte sie. Weil er wusste, was das Blut bedeutet. Er wusste, was mit mir passieren würde, wenn ich in Kingdom Come bliebe.
    Rat drückte den Hund an sich, als könnte ihm nur Bear den Trost spenden, den er brauchte. »Sie ist erst vierzehn. Sie braucht mich – ich muss auf sie aufpassen.«
    »Deine Schwester?«
    »Als sie mich abgeholt haben, hat Carrie versucht, sie da ran zu hindern. Sie hat geschrien und geschrien, aber meine Mom hat sie einfach festgehalten. Hat ihr gesagt, ich müsste verschwinden. Sie dürften nichts mehr mit mir zu schaffen haben.« Seine Hand ballte sich im Fell des Hundes zur Faust. »Deswegen bin ich zurückgekommen. Wegen ihr. Wegen Carrie.« Er sah auf. »Aber sie war nicht da. Niemand war da.«
    »Wir werden sie finden.« Maura beugte sich vor und hielt seinen Arm, so wie er in diesem Moment Bear hielt. Sie waren alle miteinander verbunden – Frau, Junge und Hund. Ein merkwürdiges Trio, zusammengeschweißt durch Entbehrungen und Mühsal, so lange, bis daraus so etwas wie Liebe entstanden war. Ich konnte Grace nicht helfen, dachte sie. Aber ich werde tun, was in meiner Macht steht, um diesen Jungen zu retten. »Wir werden sie finden, Rat«, sagte sie. »Es wird alles gut. Das schwöre ich dir.«
    Bear winselte laut und schloss die Augen.
    »Er glaubt Ihnen auch nicht«, sagte Rat.

28
    Jane sah zu, wie ihr Mann einen Rucksack packte und jeden Winkel systematisch mit Proviant und Ausrüstungsgegenständen ausfüllte. Im Hauptfach verschwanden Schlafsack und Isomatte, ein Einmannzelt, ein Winter-Campingkocher und gefriergetrocknete Mahlzeiten. In die kleineren Taschen stopfte er Kompass, Messer und Stirnlampe, eine Rolle Nylonseil und ein Erste-Hilfe-Set. Kein vergeudeter Platz, kein Gramm überflüssiges Gewicht. Er und Sansone hatten die Ausrüstung am frühen Abend gekauft, und nun lagen Gabri els Sachen ausgebreitet auf dem Hotelbett, die kleineren Gegenstände in Packbeuteln, die Wasserflaschen mit dem stets nützlichen Universalklebeband umwickelt. Er hatte so etwas schon viele Male gemacht, als junger Mann beim Bergwandern und später bei den Marines. Die Waffe, die er jetzt an der Hüfte trug, erinnerte Jane auf unangenehme Weise daran, dass es hier nicht um einen winterlichen Campingausflug ging.
    »Ich sollte mit euch beiden kommen«, sagte Jane.
    »Nein, das solltest du nicht. Du musst hierbleiben, falls jemand anruft.«
    »Was ist, wenn da draußen irgendetwas schiefgeht?«
    »Wenn etwas passieren sollte, würde es mir wesentlich besser gehen, wenn ich wüsste,

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