Totengrund
dass Dr. Comley am Steuer saß, als das Fahrzeug über die Klippe stürzte. Die Straße macht dort eine scharfe Kurve, und wenn es zum Zeitpunkt des Unfalls dunkel war oder geschneit hat, dürften die Sichtverhältnisse sehr schlecht gewesen sein. Dazu kam vielleicht noch eine vereiste Fahrbahn.«
»Sie gehen also von einem Unfall aus«, sagte Gabriel.
Draper runzelte die Stirn. »Was soll es sonst gewesen sein?«
»Man muss immer auch andere Möglichkeiten in Betracht ziehen.«
Der Coroner seufzte. »Bei Ihrem Beruf, Agent Dean, ist es wohl natürlich, dass Sie an diese anderen Möglichkeiten denken. Aber Sheriff Fahey ist zu dem Schluss gekommen, dass es ein Unfall war. Ich habe mir die Röntgenbilder schon angesehen. Die Leichen weisen multiple Frakturen auf, wie man sie in einem solchen Fall erwarten würde. Es sind keine Geschossfragmente zu sehen – nichts, was auf einen anderen als den angenommenen Ablauf hindeuten würde. Das Fahrzeug ist schlicht und einfach im Gebirge von der Straße abgekommen. Es stürzte fünfzehn Meter tief in eine Schlucht, wo es Feuer fing. Ich bezweifle, dass von den Insassen jemand den ersten Aufprall überlebt hat; wir können also mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass Ihre Bekannte sofort tot war.«
»Es gab dort letzten Samstag einen Schneesturm, nicht wahr?«, sagte Gabriel.
»Ja. Wieso?«
»Wenn der Wagen stark eingeschneit ist, könnte uns das verraten, wann es passiert ist.«
»Ich habe nur eine ganz dünne Schneedecke gesehen«, erwiderte Draper. »Allerdings wäre eine dickere Schicht bei dem Feuer sicherlich geschmolzen.«
»Oder der Unfall ist erst später passiert.«
»Aber das wirft wiederum die Frage auf, wo Ihre Bekannte sich die letzten sieben Tage aufgehalten hat. Eine Bestimmung des Todeszeitpunkts ist nahezu unmöglich. Ich neige dazu, mich an dem Zeitpunkt zu orientieren, als die Opfer zuletzt gesehen wurden, und das war der Samstag.« Er ließ den Blick über ihre betroffenen Gesichter schweifen. »Ich weiß, das lässt viele Fragen offen. Aber jetzt wissen Sie wenigstens, was passiert ist; Sie können nach Hause fahren und die Sache irgendwann für sich abschließen. Sie wissen, dass es ein schneller Tod war und dass sie wahrscheinlich nicht gelitten hat.« Er seufzte. »Es tut mir sehr leid, dass es so enden musste.«
Draper erhob sich. Er sah älter und erschöpfter aus als noch vor einer halben Stunde, als sie den Raum betreten hatten. Auch wenn wir es nicht selbst sind, die trauern, kann allein die Nähe zu solchen Gefühlen uns seelisch auslaugen, und Draper hatte wahrscheinlich schon so viel davon mitbekommen, dass es für ein ganzes Menschenleben reichte. »Ich bringe Sie hinaus.«
»Dürfen wir die Leiche sehen?«, fragte Gabriel.
Draper sah ihn an und runzelte die Stirn. »Ich würde es nicht empfehlen.«
»Aber ich denke, es ist notwendig.«
Jane hoffte fast, dass Draper sich weigern würde, dass er ihr den qualvollen Anblick ersparen würde. Sie wusste, wie Maura im Leben ausgesehen hatte; wenn sie einmal gesehen hätte, was aus ihr geworden war, würde nichts dieses grauen volle Bild wieder auslöschen können. Sie sah ihren Mann an und wunderte sich nur, dass er so ruhig bleiben konnte.
»Ich zeige Ihnen die Röntgenaufnahmen«, sagte Draper. »Vielleicht wird das genügen, um Sie von meinem Befund zu überzeugen.«
Gabriel wandte sich an Brophy. »Es ist besser, wenn Sie hier warten.«
Daniel nickte und blieb, wo er war, den Kopf gesenkt, allein mit seiner Trauer.
Als Jane und Gabriel Draper zum Aufzug folgten, krampfte sich ihr Magen in banger Vorahnung zusammen. Ich will das nicht sehen, dachte sie. Ich muss das nicht sehen. Aber Gabriel schritt zielstrebig voran, und sie war zu stolz, um ihm nicht zu folgen. Als sie das Leichenschauhaus betraten, stellte sie erleichtert fest, dass der Obduktionstisch leer war, die Leichen sicher in den Kühlfächern verstaut.
Draper sah einen Stoß Röntgenfilme durch und hängte mehrere davon an den Leuchtkasten. Er drückte einen Schalter, und im Gegenlicht schienen Aufnahmen eines Skeletts auf.
»Wie Sie sehen, gibt es zahlreiche Anzeichen von Traumata«, sagte Draper. »Schädelfrakturen, mehrere Rippenbrüche. Einkeilung des linken Oberschenkelknochens im Hüftgelenk. Durch das Feuer haben die Gliedmaßen sich zur sogenannten Fechterstellung verformt.« Seine Stimme nahm den nüchternen, monotonen Tonfall eines Informationsaustauschs unter Experten an – so, als sei er mit dem
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