Totenhauch
natürlich, nur Worte, die sie in der Wut gesagt hatten und die sie nicht mehr zurücknehmen konnten. Das Schlimmste war, dass Shani alles mitanhörte. Ich erinnere mich, wie sie die ganze Zeit mit der Hand gegen Johns Bein geschlagen hat, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Ich glaube, sie hat versucht, ihn zu trösten, aber er war zu wütend … zu gefangen in der Situation, um es zu bemerken. Er ist aus dem Haus gestürmt, und als er davonfuhr, stand Shani am Fenster und winkte ihm zum Abschied nach. Das war das letzte Mal, dass er sie lebend gesehen hat.«
Ich dachte daran, wie das kleine Geisterkind sich immer an Devlins Beine klammerte, und hätte am liebsten geweint.
»Das ist unvorstellbar«, sagte ich leise.
»Ja. Ich bin sicher, John würde sein Leben dafür geben, wenn er die Uhr noch einmal zurückdrehen könnte. Wenn er Shani nur noch ein einziges Mal in den Arm nehmen könnte …«
Das war zu viel. Ich wollte nicht, dass er weitersprach, aber ich hatte schon zu viel erfahren. Ich musste den Rest hören.
»Nach Dienstschluss hat er mich angerufen und wir sind etwas trinken gegangen. Er brauchte jemanden zum Reden. Irgendwann hat Mariama dann versucht, ihn auf dem Handy zu erreichen. Er hat ihren Namen auf dem Display gesehen und hat das Gespräch nicht angenommen. Später hat er dann erfahren, dass sie ihn angerufen hat, ein paar Sekunden nachdem sie den Notruf verständigt hatte. Ihr Wagen war von der Brücke gestürzt, und sie war in ihrem Sitz gefangen. Sie und Shani saßen in der Falle in einem Fahrzeug, das langsam unterging. Vielleicht wusste Mariama, dass jede Hilfe zu spät kommen würde. Vielleicht hat sie angerufen, um John die Chance zu geben, sich zu verabschieden. Und er hat nicht abgenommen.«
Fröstelnd schlang ich meine Arme um den Körper.
»Damit muss er leben«, sagte Ethan. »Das schleppt er mit sich herum, immer. Da ist nicht viel Platz für etwas anderes in seinem Leben, fürchte ich.«
»Für mich, meinen Sie?«
Mit sanftem Blick sah Ethan mich an. »Ich dachte bloß, dass Sie das wissen sollten.«
Ethans Enthüllungen hatten mich sehr verstört, und ich ging Devlin den Rest des Tages aus dem Weg. Ich konnte ihm einfach noch nicht gegenübertreten. Nicht nach alledem. Ich konnte mir nicht vorstellen, was er durchgemacht hatte. Ich wollte es mir nicht vorstellen. Und doch war alles da, in seinen Augen und in seinem Gesicht und in den Geistern, die sich an ihn klammerten.
Als ich nach Hause kam, entschied ich, dass es ganz gut sein könnte für mein mentales Wohlbefinden, wenn ich mich zur Abwechslung einmal mit weltlichen Dingen befasste wie Wäschewaschen und Einkaufen. Als ich vom Supermarkt zurückkam, machte ich mir ein Glas Eistee und ging damit auf die Terrasse, wo ich sitzen und meinen Garten genießen konnte.
Die Prunkwinden waren schon lange verwelkt, aber die rosa Wunderblumen neben dem Haus standen noch in voller Blüte und wurden von Bienen und Kolibris umschwirrt. Ich schlenderte ans Ende des Gartens, setzte mich einen Moment auf die Schaukel, auf der ich Shanis Totengeist gesehen hatte, dann bückte ich mich, um den kleinen Erdhügel zu untersuchen, in dem ich ihren Ring vergraben hatte. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber der Boden war unberührt, und das Herz war genau so, wie ich es hinterlassen hatte.
Mariamas Besuch war noch viel beängstigender gewesen als Shanis, also verdrängte ich die Erinnerung an die Geisteraugen, die mich durch die Dunkelheit anstarrten, und versuchte, mich auf den herrlichen Duft zu konzentrieren, der von den Pfingstrosen aufstieg.
Als ich mich bückte, um eine zu pflücken, stellte ich fest, dass die Außentür, die in den Keller führte, einen Spaltbreit offen stand.
Das war seltsam.
Diese Tür war immer zugesperrt, obwohl dort unten keine wertvollen Dinge lagerten. Der Kellerzugang, der sich im Haus befand, war – ebenso wie die Tür oben an der Treppe des Eingangs – verriegelt worden, als das Haus in zwei Wohnungen aufgeteilt worden war.
Die Vorstellung, dass ein Eindringling im Haus war, versetzte mich selbst am helllichten Tag in Panik, erst recht nach dem, was in letzter Zeit passiert war. Ich hatte mein Telefon nicht mit nach draußen genommen, also musste ich zurück ins Haus gehen,um die Polizei zu rufen, doch ich wollte nichts überstürzen. Es war möglich, dass das Schloss nicht eingerastet gewesen war und der Wind die Tür aufgestoßen hatte.
Ich ging gerade so nah heran, dass ich
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