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Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
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mir, dass ich den Computer nicht einschalten würde. Ich musste mich mal für eine Weile ausklinken. Ich war dabei, immer mehr auf die Gesellschaft namenloser, gesichtsloser Fremder zu vertrauen. Aber eine halbe Stunde später lag ich im Bett, den Laptop auf den Knien. Ich loggte mich in meinen Blog ein und ging die Kommentare durch. Vor einer knappen Stunde war ein neuer Beitrag eingestellt worden:
    Ein leises Leben, ein leiser Tod.
    Doch jetzt, Geliebte, schlaf.
    Unser Geheimnis ist gewahrt.
    Ich war mir ziemlich sicher, dass diese Zeilen aus einem alten Gedicht stammten, aber ich hatte den Vers heute auch gesehen, in Stein gemeißelt, auf dem Friedhof von Oak Grove.
    Mit zitternden Händen griff ich nach meinem Telefon und rief Devlin an.

ZWEIUNDDREISSIG
    Es war spät, und auf dem Friedhof war es still. Die Armee von Cops hatte sich aus den unterirdischen Gängen und von den Gehwegen zurückgezogen und nur zwei Wachen am Haupteingang postiert. Die beiden uniformierten Beamten folgten uns auf das Gelände, und ich führte uns durch das traurige Labyrinth aus Grabsteinreihen und Grabmalen zur Nordseite des Friedhofs, wo schimmerndes Mondlicht auf sieben Deckelschlitz-Steinsärge fiel.
    Ich hielt meine Taschenlampe über den Sarg in der Mitte und beleuchtete damit das Epitaph und die Symbole, die in den Deckel gemeißelt waren. Über dem Namen und dem Geburts- und dem Todesjahr waren eine einzelne Tulpe zu sehen   – Liebe und Leidenschaft   – und ein Schmetterling, die Seele im Flug.
    »Er lässt sie frei«, flüsterte ich.
    Devlin hob den Kopf, starrte mich über den Sarg hinweg an.
    »Die Symbolik der Bilder ist immer die gleiche   – die Feder, das Flügelbild und jetzt ein Schmetterling. Die Seele im Flug. Aber er lässt nicht nur ihre Seele frei   – er befreit sie auch von ihren irdischen Fesseln.« Ich schaute wieder auf den Stein hinunter. »Hannah Fischers Mutter hat gesagt, dass ihre Tochter eine Reihe von Beziehungen hatte, in denen sie misshandelt wurde, angefangen bei ihrem Vater. Hannah hat ihr nicht gesagt, wer ihr letzter Freund war, weil sie wusste, dass ihre Mutter versuchen würde, sie zu retten. Erinnern Sie sich an das Epitaphauf dem Stein des Grabes, in dem man sie vergraben hat? ›Die Mitternachtssterne weinen über ihrem stillen Grab. Tot und doch träumend, für dieses Kind es keine Rettung gab.‹«
    Schweigend hielt Devlin den Blick auf mich gerichtet.
    »Die Skelettreste, die gestern exhumiert wurden   … Ethan hat gesagt, sie hätte einen schrecklichen Unfall gehabt, bevor sie gestorben ist. Ihre Verletzungen waren so schwer, dass sie wahrscheinlich unter chronischen Schmerzen gelitten hat und jahrelange Physiotherapie vor sich hatte. ›Die zarte Rose so schnell verblasst. Befreit von ird’scher Qual, liegt sie nun in ewiger Rast.‹ Irdische Qual. Körperliche Schmerzen. Und jetzt haben wir das hier.«
    Alle vier starrten wir auf den Sarg hinunter. Devlin und ich standen jeweils an einer Seite, und die Beamten am Kopf- beziehungsweise am Fußende. Ich las das Epitaph laut vor. »›Ein leises Leben, ein leiser Tod. Doch jetzt, Geliebte, schlaf. Unser Geheimnis ist gewahrt.‹«
    »Verdammt gruselig«, brummte einer der Beamten.
    Ich atmete tief durch, ohne den Blick von den Symbolen zu wenden. »Der Deckel muss senkrecht vom Kopf- und Fußteil gehoben werden.«
    »Brauchen wir dafür nicht einen Gerichtsbeschluss?«, fragte der andere Beamte nervös.
    »Diese besonderen Steinsärge sind einmal gebaut worden, um Grabräuber in die Irre zu führen. Der Leichnam, zumindest der Leichnam, der ursprünglich hier beigesetzt wurde, ist tief in der Erde bestattet. Die Totenruhe wird hier nicht gestört, wenn wir den Deckel abheben.«
    »Ich übernehme die volle Verantwortung«, sagte Devlin, und ich bildete mir ein, sein Silbermedaillon im Mondlicht blitzen zu sehen. »Heben wir ihn herunter.«
    Sie hatten den Deckel noch keine zehn Zentimeter angehoben, da schlug uns bereits der Gestank entgegen. Ich unterdrückte ein Würgen und hielt mir das T-Shirt vor Mund und Nase. Die Beamten stöhnten, nicht nur wegen des Geruchs nach Verwesung, sondern auch unter dem Gewicht des Sargdeckels.
    »Noch ein bisschen höher«, bat Devlin, der auf dem Boden kniete und mit seiner Taschenlampe in den Sarg hineinleuchtete. Den Rücken seiner freien Hand presste er sich vor Mund und Nase. »Mein Gott.«
    Als sich der Deckel noch ein paar Zentimeter hob, erblickte ich plötzlich das bleiche Gesicht

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