Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
Vom Netzwerk:
die Treppe hinunterspähen konnte. Ich sah, dass drinnen ein Licht an war, und hörte dumpfe und schabende Geräusche, so als würden große Kartons herumgeschoben.
    Im nächsten Moment ging die Tür auf, und ich verzog mich wieder in den Garten. Sekunden später kam Macon Dawes mit großen Schritten die Treppe herauf. Er hatte einen schwarzen Koffer in der Hand, und als er mich auf dem Rasen stehen sah, blieb er stehen und winkte mir zu.
    »Hey.«
    »Hey.« Ich presste eine Hand auf die Brust. »Sie haben mich fast zu Tode erschreckt. Ich dachte, es wäre jemand eingebrochen.«
    »Nein, ich habe nur den hier gesucht.« Er hielt den Koffer hoch. »Tut mir leid, dass ich Sie erschreckt habe. Ich nehme an, Sie haben nicht damit gerechnet, dass ich um diese Zeit hier bin. Oder überhaupt irgendwann. In den letzten paar Wochen war ich ein Phantom.«
    »Viel Arbeit im Krankenhaus?«
    »Mörderisch«, erwiderte er und verzog das Gesicht. »Ich komme gerade von einer Zweiundsiebzig-Stunden-Schicht.«
    »Ich weiß nicht, wie Sie das schaffen.«
    »Koffein und Verzweiflung. Ich habe inzwischen viel zu hohe Schulden, als dass ich alles hinschmeißen könnte.«
    Ich nickte in Richtung des Koffers. »Fahren Sie irgendwohin?«
    »Japp. Ich habe zwei ganze Wochen frei, und ein Kumpel hat mir das Haus seiner Familie überlassen, auf Sullivan’s Island. Ich habe nichts weiter vor, als zu schlafen und zu essen. Und zu trinken. Und zu schlafen.«
    »Ist sicher genau das, was Sie brauchen.« Der Smalltalk war peinlich, denn es zeigte, wie wenig wir einander kannten. Ich fand Macon Dawes immer ein bisschen einschüchternd, obwohl ich nicht hätte sagen können, warum. Ich wusste kaum etwas über ihn, außer dass er ein hart arbeitender Medizinstudent war und ein ruhiger Nachbar. Ein Phantom, genau wie er gesagt hatte.
    »Meinen Sie, Sie könnten ein Auge auf meine Wohnung haben, während ich weg bin? Obwohl ich nicht damit rechne, dass es Ärger gibt«, fügte er grinsend hinzu. »Diese Gegend hier ist so friedlich, dass es fast schon todlangweilig ist.«
    »Sicher. Kein Problem.«
    »Danke. Und erinnern Sie mich daran, dass ich Sie auf einen Drink einlade, wenn ich wieder da bin.«
    Er sprang die letzten paar Stufen herauf, und ich stand da und grübelte über diese neueste Wendung der Ereignisse. Ein Drink mit Macon Dawes?
    Ich fragte mich, ob das Universum versuchte, mir irgendetwas zu sagen.
    Um einundzwanzig Uhr dreißig waren alle Teller gespült, die Wäsche zusammengelegt, die Möbel abgestaubt, die Holzfußböden gefegt, und immer noch lag der Abend vor mir, so endlos wie die Tunnel unter dem Friedhof von Oak Grove.
    Die Einsamkeit war wie eine alte Freundin, aber an diesem Abend gab es Spannungen zwischen uns. Ich wollte nicht allein sein, und in meinem Leben gab es keine Menschenseele, die ich anrufen konnte. Temple war meine engste Freundin, aber unsere Beziehung war immer noch eher wie bei einer Vorgesetzten zu einer Untergebenen als wie bei zwei gleichgestellten Menschen. Und abgesehen von der einen oder anderen flapsigen Bemerkung beim Essen oder bei einem Cocktail wusste ich im Grunde nur sehr wenig über ihr Privatleben.
    Ich war siebenundzwanzig Jahre alt und hatte noch nie einebeste Freundin oder einen wirklichen Vertrauten gehabt, und ich war noch nie verliebt gewesen. Seit meinem neunten Lebensjahr hatten mich die Toten, die unter uns wandelten, von den Lebenden isoliert. In dem Moment, als ich meinen ersten Geist gesehen hatte, hatte sich mein Leben für immer verändert. Genau wie mein Vater hatte ich gelernt, mit meinem Geheimnis zu leben, hatte sogar angefangen, meine Einsamkeit zu genießen, doch es gab Zeiten wie heute Nacht, wo ich mich fragte, ob hinter dem Schleier nicht auch der Wahnsinn auf mich wartete.
    Doch die Einsamkeit, mit der ich lebte, war nicht zu vergleichen mit dem Gefühl der Verlassenheit, das Devlin jedes Mal empfinden musste, wenn er sein leeres Haus betrat. Ich wollte nicht bei seiner Tragödie verweilen oder bei meiner Zwangslage oder bei der Frage, warum das Schicksal wohl so grausam war und ausgerechnet den einen Mann in mein Leben brachte, der stets den Tod einer anderen Frau betrauern würde. Mir war von Anfang an schmerzhaft bewusst gewesen, dass Devlin nicht der richtige Mann für mich war, und doch konnte ich mir keinen anderen an meiner Seite vorstellen.
    Ich bewegte mich durch mein Haus wie ein Geist, streifte von einem Zimmer ins andere, auf einer endlosen Suche. Ich schwor

Weitere Kostenlose Bücher