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Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
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und pustete die Samen in den Wind. »Warum, Papa?«
    »Stell sie dir vor wie Vampire«, sagte er mit einem matten Seufzer. »Statt Blut saugen sie unsere Wärme in sich auf, unsere Lebenskraft, manchmal unseren Lebenswillen. Und sie lassen nichts übrig außer einer lebenden und atmenden Hülle.«
    Ich griff das einzige Wort auf, das irgendeinen Sinn für mich ergab, obwohl ich tief drinnen wusste, dass er es nur bildlich gemeint hatte. »Aber Papa, Vampire gibt es in Wirklichkeit doch gar nicht.«
    »Vielleicht nicht.« Er wippte zurück auf die Fersen, und seine Augen blickten mit einem gepeinigten Ausdruck in die Ferne, sodass mir das Blut in den Adern gefror. »Aber ich habe in meinem Leben Dinge gesehen   … unaussprechliche Freveltaten   …«
    Entsetzt rang ich nach Luft, ein Laut, der ihn schlagartig aus seinen düsteren Bildern riss, und er griff nach meiner Hand und drückte sie beschwichtigend. »Darum brauchst du dir keine Sorgen zu machen, mein Kind. Solange du dich an die Regeln hältst, hast du nichts zu befürchten.«
    Doch seine Worte hatten mich mit einer Furcht erfüllt, die ich nicht hätte benennen können. »Versprochen?«
    Er nickte, doch er wandte sich hastig ab, und sein verhärmtes Gesicht war umschattet von Geheimnissen   …
    Die ganzen Jahre hatte ich Papas Regeln treu und brav befolgt. Ich war geübt darin, meine Gefühle unter Kontrolle zu halten, und ich nehme an, dass ich meine Reaktion auf John Devlin genau deswegen als so beunruhigend empfand.
    Ganz plötzlich stand er auf dem Friedhof hinter mir, er musste mich wohl auch angesprochen haben, doch ich war so in Gedanken versunken gewesen, dass ich es nicht gehört hatte. Als er mir eine Hand auf die Schulter legte, damit ich ihn bemerkte, standen mir die Haare zu Berge, als hätte ich gerade einen elektrischen Schlag bekommen. Ohne zu überlegen, zuckte ich vor ihm zurück.
    Meine Reaktion schien ihn zu bestürzen. »Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
    »Nein, schon gut. Es ist nur   …«
    »Dieser Ort? Ja, es ist ziemlich gruselig hier. Ich hätte allerdings gedacht, dass Sie daran gewöhnt sind.«
    »Nicht alle Friedhöfe sind gruselig«, erwiderte ich. »Die meisten sind wunderschön.«
    »Wenn Sie das sagen.« Etwas lag in seiner Stimme   – ein kalter, spröder Unterton –, und ich musste an seine Geister denken. Wieder fragte ich mich, wer das wohl sein mochte und was sie ihm im Leben bedeutet hatten. Immer noch blickte er neugierig auf mich herunter. Aus irgendeinem Grund war mir bis jetzt noch gar nicht aufgefallen, wie groß er war, aber jetzt schien er mich zu überragen.
    »Sind Sie sicher, dass Sie okay sind?«, fragte er.
    »Ich schätze mal, dass ich immer noch ein bisschen schreckhaft bin von vorhin. Und jetzt das.«
    Ich machte eine Kopfbewegung zu der Leiche auf dem Boden hin, doch ich hielt den Blick weiterhin auf Devlin geheftet. Ich wollte den toten Körper nicht anschauen. Ich wollte vermeiden, dass ich das Gesicht eines Tages wiedererkannte, wenn ich ein rastloses, gieriges Gespenst durch den Schleier wandern sah.
    »Ich führe ein ziemlich langweiliges Leben«, sagte ich ohne jede Ironie. »Ich glaube nicht, dass ich für Tatorte geschaffen bin.«
    »Es gibt auf dieser Welt viele Dinge, vor denen man sich fürchten muss, aber Leichen gehören nicht dazu.«
    Er redete wie jemand, der sich auskannte, dachte ich mit einem Schaudern. Seine Stimme hatte so einen Klang, bei dem man an geheimnisvolle Orte denken musste. Einen Klang, der einem einen wohligen Schauer über den Rücken jagte.
    »Ich bin sicher, dass Sie recht haben«, raunte ich und ließ den Blick durch den Nebel hinter ihm schweifen und fragte mich, ob seine Geister am Ende vielleicht doch noch durch das Friedhofstor geschlüpft waren. Das hätte nicht nur die unnatürlichen Schwingungen erklärt, die ihn zu umgeben schienen, sondern auch die düsteren Vorahnungen, die ich in seiner Nähe hatte.
    Aber nein. Hinter ihm in der Dunkelheit war nichts.
    Es liegt an diesem Ort.
    Ich konnte körperlich spüren, wie die negative Energie mich umklammerte wie die Efeuranken, die sich in die Risse und Spalten der Mausoleen gruben, wie die Kudzu-Pflanze, die sich eng um die Baumstämme wand und so die prachtvollen Virginia-Eichen langsam erwürgte, denen der Friedhof seinen Namen verdankte. Ich fragte mich, ob Devlin es ebenfalls spürte.
    Er legte den Kopf schräg, das Mondlicht fiel auf sein Gesicht, machte seine hageren Züge weicher und

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