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Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
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darüberzuklettern. Aber eine Leiche darüberzuhieven   … nicht so einfach.«
    »Vielleicht hatte er Hilfe.«
    »Wollen wir hoffen, dass das nicht der Fall ist«, entgegnete er, und in seinen Worten schwang etwas Düsteres und Schauerliches mit.
    Ich fragte mich, was ihm in diesem Moment wohl gerade durch den Kopf ging. Er wirkte auf mich wie ein sehr gründlicher Mann, wie ein Mensch, der so akribisch und ehrgeizig war, dass er nichts unversucht lassen würde, um Antworten zu bekommen.
    Womit ich wieder bei seinen Geistern angelangt war   …
    Waren sie seinetwegen immer noch hier?
    Trotz allem, was mein Vater mir über das schmarotzerhafte Wesen von Totengeistern erzählt hatte, war ich zu dem Schluss gekommen, dass manche hierblieben, weil sie noch etwas zu erledigen hatten   – etwas, was sie selbst oder ihren ahnungslosen Wirt betraf. Das machte sie für jemanden wie mich nicht weniger gefährlich. Im Gegenteil, diese Wesen machten mir große Sorgen, denn sie waren oft verzweifelt und verwirrt, und manchmal sehr, sehr wütend.
    Wir verfielen in Schweigen, und die Nacht wurde still. Der Nebel dämpfte die Stimmen der Polizisten, die immer noch ihrer grauenvollen Arbeit nachgingen.
    Ich wollte Devlin gerade fragen, wie lange er mich wohl noch brauchen würde, als ein Polizeibeamter auf uns zukam und Devlin sich umdrehte, um mit ihm zu sprechen   – so leise, dass ich kein Wort verstehen konnte. Ich wollte nicht, dass sie dachten, ich würde sie belauschen, also ging ich ein paar Schritte weg und starrte wieder schweigend in die Dunkelheit.
    Niemand beachtete mich, und so kam ich nach einer Weile zu dem Schluss, dass es wahrscheinlich niemandem auffallen würde, wenn ich einfach ging. Die Vorstellung reizte mich ungeheuer. Ich wollte nur noch heim, heil und unversehrt, an meinen ganz persönlichen Zufluchtsort, aber ich widerstand dem inneren Drang. Ich konnte nicht einfach verschwinden, denn ich hatte Devlin mein Wort gegeben. Schließlich war ich ein Südstaaten-Kind, das von einer Südstaaten-Mutter großgezogen worden war. Das Pflichtgefühl war ebenso tief in mir verwurzelt wie das Bedürfnis, es jedem recht zu machen.
    Ebenso wie mein Vater hatte mir auch meine Mutter gewisse Regeln anerzogen, und sie erwartete von mir, dass ich mein Leben danach ausrichtete. Die eher banalen Vorschriften befolgte ich schon lange nicht mehr   – ich bügelte meine Bettwäsche nicht mehr, und ich nahm auch nicht mehr jedes Mal ein frisches Tischtuch, wenn ich allein zu Abend aß. Aber nicht Wort zu halten   … also, das war etwas, was ich nur unter Androhung der Todesstrafe hätte tun können.
    Auf einmal bewegte sich hinter mir etwas, und warnend stellten sich mir die Nackenhaare auf. Ich wusste, dass Devlin wieder hinter mir stand, und ich wandte mich um, bevor er mich berühren konnte.
    »Der Gerichtsmediziner ist fertig«, sagte er. »Sie bringen die Leiche jetzt gleich weg. Dann können Sie gehen. Vor Tagesanbruch können wir hier draußen sowieso nicht mehr viel ausrichten.«
    »Danke.«
    »Ich gebe Ihnen Bescheid, wo Sie Ihre Rechnung hinschicken müssen.«
    »Das ist nicht so wichtig.«
    »Wieso nicht? Sie haben sich Ihr Geld heute Nacht redlich verdient. Eine Sache wäre da allerdings noch. Wenn die Geschichte an die Öffentlichkeit kommt, werden die Reporter eine Stellungnahme von der Universität wollen. Und wenn Sie als Beraterin genannt werden, dann wollen die sehr wahrscheinlich von Ihnen persönlich was hören. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie keine Informationen herausgeben würden, ohne das vorher mit mir abzuklären.«
    »Natürlich.«
    Ich hatte nicht die Absicht, mich mit der Presse über den grausigen Fund auf dem Friedhof von Oak Grove zu unterhalten. Ich wollte nur eins: nach Hause fahren, in mein Bett kriechen und diese Nacht vergessen.
    Aber ein sauberer Abschluss sollte nicht sein. Alles in meiner Welt änderte sich   – für immer.
    Auch die Regeln meines Vaters.

VIER
    Mein Haus auf der Rutledge Avenue war ganz typisch für Charleston   – ein schmales einstöckiges, mit Schindeln verkleidetes Haus mit einem Balkon im oberen Stock, einer Veranda im Erdgeschoss und mit einem Vorgarten, der von einem schmiedeeisernen Gitter umzäunt war.
    Und was noch wichtiger für mich war: Es war einer von den Orten, die mein Vater mir vor langer Zeit zu suchen beigebracht hatte. In diesem Haus gab es keine Geister. Es war eine Zuflucht, ein sicherer Hafen, denn der Boden, auf dem es stand, war

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