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Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
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Ruhe, Lyn.«
    »Ich soll sie in Ruhe lassen, Etta? Hast du gesehen, was deine Tochter für eine Haut hat? So braun, als wenn sie auf dem Rost gelegen hätte, und voller Sommersprossen. Was für eine Nachtcreme benutzt du?«, wollte sie wissen.
    »Was halt gerade da ist.«
    »Kleines.« Missbilligend schnalzte sie mit der Zunge.
    »Ich kenne eine Frau auf der Market Street, die macht die beste Gesichtscreme der Welt. Ich habe keine Ahnung, was sie da hineintut, aber der Duft ist göttlich, und die Mixtur wirkt Wunder. Wenn du mich das nächste Mal besuchen kommst, gebe ich dir einen Tiegel mit.«
    »Danke.«
    »Und jetzt zeig mir deine Hände.«
    Ich streckte sie aus, damit Tante Lynrose sie begutachten konnte, und sie seufzte. »Du musst unbedingt immer Handschuhe tragen. Das ist ganz wichtig , wenn man so draußen arbeitet wie du. Die Hände sind schrecklich verräterisch, was das Alter einer Frau angeht.«
    Ich schaute auf meine schwieligen Handflächen. Sie sahen etwas mitgenommen aus.
    Mama war im Haus verschwunden und kam kurz darauf mit einem großen Glas Limonade zurück. Sie gab es mir, und ich setzte mich auf die oberste Treppenstufe.
    »Du bleibst zum Abendessen.« Schon als Kind hatte ich es geliebt, wie sie das Wort »Aaabendessen« aussprach.
    Da es keine Frage gewesen war, nickte ich nur. »Was gibt es denn?«
    »Hühnchen im Teigmantel. Kartoffelbrei und Soße. Kohlrabi. Tomatensalat. Gegrillte Maiskolben. Und Brombeerauflauf zum Nachtisch.«
    »Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen.« Das stimmte wirklich, vor allem wegen dem selbst angebauten Gemüse.
    »Ich konnte Hühnchen nie so braten, dass es was getaugt hätte«, sagte Lynrose nachdenklich und machte es sich wieder auf der grünen Hollywoodschaukel bequem, deren sanftes Schwingen in der schläfrigen Hitze fast hypnotisch wirkte. »Das ist nämlich eine Kunst. Ich habe im Lauf der Jahre bestimmt an die hundert Rezepte ausprobiert. Buttermilchteig, Maismehlpanade, alles Mögliche. Irgendwann hab ich es aufgegeben. Wenn ich heute Lust auf einen Hähnchenschenkel habe, dann hole ich mir was zum Mitnehmen. Aber es ist nicht dasselbe.« Sie seufzte. »Die ganzen Kochgene in unserer Familie hat Etta geerbt.«
    »Dafür hast du die große Klappe mitbekommen«, sagte Mama.
    Lynrose zwinkerte mir verschwörerisch zu und ich lächelte. Sie war der einzige Mensch, der es schaffte, aus meiner ernsten Mutter diesen hintersinnigen Humor herauszukitzeln. Als Kind hatte ich es geliebt, wenn sie zu Besuch kam. Mit ihrer Schwester zusammen wirkte Mama immer so unbekümmert.
    Das letzte Mal hatte ich die beiden vor einem Monat miteinander gesehen, als Mama zu ihrem Geburtstag mit dem Wagen nach Charleston gekommen war. Sie hatte das Wochenende mit Lynrose verbracht, und wir drei waren zusammen ausgegangen, um zu feiern. Zum Essen hatten wir so viel Wein getrunken, dass wir uns später kaputtlachten über das blödsinnige Theaterstück, in das meine Tante uns geschleppt hatte. Ich hatte meine Mutter noch nie so albern erlebt. Das war ein unvergesslicher Anblick. Sie wurde sechzig an dem Tag, aber sowohl sie als auch meine Tante sahen keinen Tag älter aus als vierzig. Ich hatte immer gefunden, dass die beiden die schönsten Frauen der Welt waren. Und das fand ich auch heute noch.
    Jetzt forschte ich in den Zügen meiner Mutter und hoffte, darin etwas von der mädchenhaften Ausgelassenheit zu entdecken, die ich an ihrem Geburtstag erlebt hatte. Stattdessen fiel mir auf, wie zerbrechlich und ausgemergelt sie aussah. Wie müde sie wirkte. Die dunklen Ringe unter ihren Augen erinnerten mich an John Devlin.
    Ein Schauer lief mir über den Rücken, und ich senkte den Blick.
    »Wo ist Papa?«, fragte ich.
    »In Rosehill«, antwortete Mama. »Es macht ihm immer noch Spaß, da draußen herumzuwerkeln, obwohl das County letztes Jahr einen Friedhofsgärtner eingestellt hat, der dort fest arbeitet.«
    »Hat er die Engel fertigbekommen?«
    Ein schwaches Lächeln legte sich auf ihre Lippen. »Ja. Und die sind schon toll, oder, Lyn? Du musst hin und sie dir kurz anschauen, bevor du wieder fährst.«
    »Das mache ich.«
    »Apropos Engel«, meinte meine Tante mit träger Stimme. »Erinnerst du dich noch an Angel Peppercorn? Dieses große Mädchen mit dem etwas unglücklichen Überbiss? Ich bin ihrvorgestern zufällig begegnet, in einem kleinen Teeladen auf der Church Street. Du weißt schon, welchen ich meine, Amelia. Mit dieser entzückenden schwarz-gelben Markise. Egal,

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