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Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
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nicht sehen.
    Ich klickte den Artikel weg und nahm den nächsten Link, der mich zu den Todesanzeigen führte. Hier waren keine Fotos, aber ich wusste ja schon, wie sie aussahen   – Mariama und die vierjährige Anyika.
    Anyika .
    Irgendwie passte dieser Name nicht zu dem Geisterkind, das ich an Devlins Seite und in meinem Garten gesehen hatte.
    Ich war schon drauf und dran, den Namen laut vor mich hin zu sagen, besann mich dann aber doch noch eines Besseren.
    Regel Nummer vier   – Fordere nie das Schicksal heraus, niemals.
    Hastig schaltete ich den Computer aus und stellte ihn weg. Das war genug Recherche für einen Abend gewesen.
    Ich rollte mich auf die Seite, legte die Wange auf meine gefalteten Hände und schloss die Augen. So viele Gedanken und Bilder jagten mir durch den Kopf. So viele unbeantwortete Fragen   …
    Immer wieder sah ich Mariama und Anyika, wie sie in diesem Wagen in der Falle saßen, wie sie verzweifelt nach Luft rangen, als sich das Wasser über ihnen schloss   … Ich stellte mir vor, wie das alles für Devlin gewesen war, als er die Nachricht bekam   … wie er zum Unfallort gerast sein musste, dabei das Beste gehofft und zugleich das Schlimmste befürchtet hatte. Und dann das Danach, die lange Fahrt nach Hause in dem Wissen, dass das Haus leer sein würde, wenn er dort ankam. Dass er seine Tochter nie wieder in den Armen halten würde   …
    Ich stellte mir Afton Delacourts grässlich zugerichtete Leiche vor, wie sie in dem Mausoleum lag, in dem Rupert Shaw angeblich Séancen veranstaltet hatte, und ich ließ mir seine Theorie durch den Kopf gehen, dass im Augenblick des Todes eine Tür aufging, die es einem Menschen erlaubte, auf die andereSeite zu wechseln und wieder zurückzukommen. Was, wenn jemand auf die andere Seite gewechselt war, als Hannah Fischer starb? Was, wenn dieser Jemand auf dem Weg zurück durch den Schleier irgendetwas mitgebracht hatte? Etwas Dunkles, Stinkendes, Kaltes wie dieses Ding, das sich am Waldrand herumgetrieben hatte   …
    Ich dachte über Temples Behauptung nach, Camille Ashby habe sie mit einer Schere bedroht, und über ihre Vermutung, Daniel Meakin habe versucht, Selbstmord zu begehen, weil sie eine Narbe an seinem Handgelenk entdeckt hatte. Und über ihr Zögern, später, draußen vor dem Restaurant, über den Mord an Afton und den Order of the Coffin and the Claw zu sprechen. War es möglich, dass sie in irgendeiner Verbindung mit diesem Geheimbund stand? Oder Ethan?
    Eine Frage jagte die andere in meinem Kopf, während vor meinem geistigen Auge immer neue Gesichter auftauchten. Camille Ashby. Ethan und Rupert Shaw. Temple. Tom Gerrity. Daniel Meakin. Die brutal zugerichteten Leichen von Afton Delacourt und Hannah Fischer. Die ätherischen Züge von Mariama und Anyika.
    Und Devlin. Alle Wege führten zurück zu Devlin.
    Schließlich wurde ich schläfrig, doch es erschien mir zu mühsam, aufzustehen und ins Schlafzimmer zu gehen.
    Draußen wehte eine sanfte Brise und ließ die Wedel der Palmettopalmen rascheln, ein Raunen, das mich so beruhigte, dass meine Muskeln zu zucken begannen.
    Ganz, ganz lange schwamm ich durch diese weiche, nebelhafte Sphäre des Halbschlafs, bevor ich meiner Erschöpfung nachgab. Und dann wanderten alle meine chaotischen Gedanken in meine Träume und schufen dort seltsame, zusammenhanglose Bildfolgen.
    Ich war wieder auf dem Friedhof von Oak Grove, schwebte über der untersten Stufe der Treppe, die ins Bedford Mausoleum führte. Temple war auch da. Sie stand auf der obersten Treppenstufe und spähte durch die halb geöffnete Tür.
    »Was machst du da?«, fragte ich sie.
    Sie trug das gleiche weiße Tunicashirt, das sie auch beim Abendessen angehabt hatte, doch die Bordüre war jetzt viel exotischer. Der Halsausschnitt war mit einem aufwendigen Muster verziert, in das Granatsteine eingearbeitet waren, die ich funkeln sehen konnte.
    »Ich war nie eine Voyeurin, aber ich muss sie ununterbrochen ansehen«, sagte sie.
    »Wen ansehen?«
    Verschlagen und anzüglich lächelte sie mich an. »Schau es dir selbst an. Das wird dir unendlich guttun.«
    Langsam stieg ich die Treppenstufen hinauf und stellte mich neben sie an den Türeingang.
    Der Raum dahinter lag wie im Nebel und wurde von Kerzen erhellt. Es war, als würde man durch einen Schleier blicken.
    Und dann sah ich sie   …
    Devlin und Mariama   …
    Der Glanz ihrer Haut, seine so hell, ihre so dunkel, hatte im Schein der Kerzen etwas unendlich Schönes, und es lag etwas

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