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Totenhaut

Titel: Totenhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Simms
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Kraftlackel wie du mit einem Gesicht voller Narben? Der mag vielleicht die sanften Typen mit den glatten Wangen lieber.«
    »Hoffen wir mal.«
    Alice seufzte. »Du hast doch bestimmt schon mit anderen schwulen Kollegen zusammengearbeitet?«
    Jon schüttelte den Kopf. »Das ist nicht so wie in deinem Beruf, Ali. Bei uns wackeln sie nicht mit dem Arsch durch die Gegend wie dein Melvyn.«
    »Nicht alle Schwulen sind so tuntig wie Melvyn. Und er übertreibt es auch noch extra für die lilahaarigen Omis.«
    Sie lächelte. »Die haben dann das Gefühl, dass Rock Hudson sie bedient.«
    »Schön und gut. Aber ich bin bei der Polizei.«
    Alice stemmte eine Hand in die Hüfte und schob einen Fuß leicht vor den anderen. Jon nannte das ihre Anwaltspose, denn diese Haltung nahm sie stets ein, wenn wieder einmal ein verbaler Schlagabtausch zwischen ihnen anstand.
    Sie waren jetzt schon beinahe zwölf Jahre zusammen.
    Kennengelernt hatten sie sich zufällig in einem Pub in der Stadt. John hatte mit mehreren Teamkollegen am Tisch in der Mitte des Lokals gesessen und sich auf der Riesenleinwand das Finale der Rugby-Weltmeisterschaft 1991 angesehen. Die Partie schleppte sich ihrem Ende entgegen, und es wurde immer klarer, dass England gegen Australien verlieren würde. Je schlimmer es aussah, umso mehr regten sich einige seiner Freunde über die Entscheidungen des Schiedsrichters auf.
    Als sie in ihrem Eifer sämtliche Gläser auf Alices Tisch umstießen, zögerte diese keine Minute, aufzustehen und der gesamten Truppe den Kopf zu waschen. Jon bewunderte ihre Unerschrockenheit und bot schließlich an, neue Getränke zu besorgen. Ihre Beherztheit war das Erste, was ihm an ihr aufgefallen war, und wann immer sie sich wieder bemerkbar machte, erinnerte sie ihn daran, warum er sich damals in sie verliebt hatte.
    »Was ist denn mit der Chancengleichheit, von der ständig die Rede ist?«, fragte sie. »Diese Plakate, die überall in der Stadt hängen … Was steht da noch mal drauf? Irgendwas von wegen ›Weiß, schwarz oder kariert – auf Streife sind wir alle gleich‹?«
    Jon verdrehte die Augen und genoss jede Sekunde ihres Scharmützels.
    Die Plakate der Anwerbekampagne mit dem Foto des vom Innenministerium propagierten Kontingents nicht-weißer Polizisten hatten zwar dafür gesorgt, dass ihnen auf dem Revier der Stoff für blödes Gerede nicht ausging, aber der erhoffte Ansturm von Bewerbern aus ethnischen Minderheiten war ausgeblieben. Und überhaupt – wie viele Polizisten gingen denn noch Streife? Die kamen doch vor lauter Papierkram nicht mehr von ihren Schreibtischen weg.
    »Es gibt da eine Polizeikultur, Alice. Du weißt es, ich weiß es. Lippenbekenntnisse zu Polizisten aus ethnischen Minderheiten und der ganze Schmus ändern daran nicht das Geringste.«
    »Und der ganze Schmus«, empörte sich Alice. »Pass bloß auf, Jon, dass du nicht eines Tages im letzten Jahrtausend aufwachst.«
    »Ich finde das auch nicht gut, Ali, aber so sieht’s aus. Du sagst, die Gesellschaft ändert sich. Aber was sich eigentlich ändert, ist deine Wahrnehmung von der Gesellschaft. Ich würde sagen, dass die jahrhundertealten Vorurteile im Großen und Ganzen so lebendig sind wie eh und je.«
    Er rief sich noch einmal den Slogan der Plakate in Erinnerung. »Nur dass die Streifenhörnchen, mit denen du es zu tun hast, eben aus einem anderen Käfig kommen.«
    Er lächelte sie honigsüß an und wartete auf ihre Reaktion.
    Sie blickte finster zurück. »Ist doch klar, dass du es an den sozialen Brennpunkten, wo deine Einsätze dich hinführen, mit Rassisten und Schwulenhassern zu tun hast. Das wird sich erst ändern, wenn sich die Bildung dieser Leute ändert.«
    Jon lachte. »Ich rede nicht von Sozialsiedlungen. Ich rede von Landsitzen. Von denen, die ganz oben hocken, nicht ganz unten: die Aristokratie, das Establishment, die Elite, nenn’s, wie du willst.« Vor seinem geistigen Auge sah er die Beamten in den oberen Führungsebenen, die Richter, die Politiker. Alt, weiß, verheiratet, männlich. »Ich rede von den Leuten, die die beste Bildung bekommen haben, die man mit Geld kaufen kann. Das sind die, die sich am meisten vor Veränderungen fürchten. Ihnen passt das System gerade so, wie es ist. Schließlich haben sie es ja auch geschaffen. Sie, ihre Väter und die Väter ihrer Väter.«
    Einen Moment sagte Alice gar nichts, dann: »Da bekommt man ja Depressionen.«
    Jon erkannte, dass er diesmal den Sieg davongetragen hatte, doch er verspürte

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