Totenhaut
werden.
Ein vornehm aussehender Mann saß hinter dem Schreibtisch und wischte den Hörer der Sprechanlage mit einem Brillenputztuch ab. »So ein rutschiges Biest. Hoffe, es hat auf Ihrer Seite nicht zu viel Krach gemacht. Nehmen Sie doch Platz.«
Jon sog seine beschwingte irische Sprachmelodie mit allen Sinnen auf. Als sie zum Schreibtisch gingen, fiel ihm das volle weiße Haar des Arztes auf, und er schätzte ihn auf Ende fünfzig. Beim Näherkommen war er sich nicht mehr so sicher. Wenn O’Connor wirklich auf die sechzig zuging, dann sah er für sein Alter unglaublich jung aus. Sein Kinn war straff, die Haut um die Augen glatt. Als er lächelte, zeigte er vollkommene Zähne. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
Rick zog seinen Zettel heraus. »Arbeiten Sie hier ganz allein, Dr. O’Connor?«
»An den Tagen, an denen wir Behandlungen durchführen, kommt eine Krankenschwester. Aber es hat keinen Sinn, sie für ihre Anwesenheit zu bezahlen, wenn ich nur Papierkram abzuarbeiten habe.«
»Vielleicht sollten wir lieber mit ihr sprechen. Es geht um die Bestellung Ihres medizinischen Materials.«
»Da mache ich vieles selbst.«
»Auch medizinische Handschuhe?«
»Allerdings.«
»Wir versuchen herauszufinden, was ein Vertreter der Firma Protex in den letzten Tagen gemacht hat.«
»Der junge Gordon Dean? Der war erst vor zwei Tagen hier.« Er pickte sich eine Mandarine aus einer üppig mit Obst gefüllten polierten Holzschüssel auf seinem Tisch und deutete mit einer Kopfbewegung darauf. »Meine Herren?«
Jon und Rick schüttelten den Kopf. Da hielt der Arzt einen Finger in die Höhe. »Fünf Stück pro Tag.« Mit Verschwörermiene beugte er sich vor. »Wenn sich mehr Leute an diese kleine Maxime hielten, hätte ich viel weniger Arbeit.« Er warf die Schale in einen Papierkorb und steckte sich eine Mandarinenspalte in den Mund.
»Wie kam Ihnen Gordon Dean vor?«, fragte Jon.
»Er war fröhlich wie immer.«
»Er macht normalerweise einen glücklichen Eindruck auf Sie?«
»Jawohl. Seine Geschäftsreisen nach Manchester scheint er jedenfalls zu genießen.«
»Und Dinge, die nichts mit seiner Arbeit zu tun haben? Sein Privatleben zum Beispiel?«
Der Doktor überlegte. »So viel ich weiß, ist er verheiratet. Keine Kinder, ich habe aber keine Ahnung, warum nicht. Ich bin nicht ganz sicher, nach was für Antworten Sie suchen?«
Jon lächelte. »Wir auch nicht. Wir versuchen uns nur ein Bild von ihm zu machen.«
»Dann ist er wohl in Schwierigkeiten?«
»Nein, wir müssen ihn nur finden. Es sieht so aus, als sei er verschwunden. Als Sie ihn das letzte Mal gesehen haben, ist Ihnen da etwas Ungewöhnliches aufgefallen? War er vielleicht aufgeregt oder besorgt?«
O’Connor schüttelte den Kopf.
»War er lang hier?«
»Nicht länger als sonst. Er ist um circa drei Uhr gegangen.«
»Haben Sie sich mit ihm unterhalten?«
»Wir haben darüber geredet, wo man in Manchester momentan am besten isst.«
»Und wo wäre das?«
»Gordon liebt italienisches Essen. Er hat erwähnt, dass er in Manchester übernachtet, da habe ich ihm ein Lokal empfohlen, in dem ich erst kürzlich war. Piccolino. Waren Sie da schon mal?«
Rick und Jon schüttelten den Kopf.
»Ah, Gordon schon. Ich glaube, er wollte in eins seiner Stammlokale gehen. Ein Männername. Lassen Sie mich nachdenken.« Er schloss die Augen.
»Don Antonio?«, fragte Jon.
Der Doktor schnippte mit den Fingern, öffnete die Augen und verneigte sich kaum merklich vor Jon. »Don Antonio. Da war ich noch nicht. Sie etwa?«
»Nein, aber ich glaube, wir werden bald hingehen.« Jon wollte schon aufstehen, überlegte es sich dann aber anders. »Wir kommen gerade aus dem Büro der Paragon Group. Was halten Sie von der?«
Das Schweigen dauerte eine Sekunde zu lang. Dann sagte O’Connor: »Eine sehr effiziente Organisation.«
Jon lehnte sich wieder zurück. »Und Ihre persönliche, nicht berufliche Meinung?«
Dr. O’Connor blickte Jon in die Augen. »Meine vertrauliche persönliche Meinung?«
»Die niemand außer uns dreien erfahren wird«, ergänzte Jon.
»Ein Haufen profitgieriger Geschäftemacher.«
»Erzählen Sie weiter«, forderte Jon ihn auf.
»Die engagieren jeden, Hauptsache er hat ein Ethos.«
Jon zog aufmunternd die Augenbrauen hoch.
»Die Bereitschaft, jeden zu behandeln, ohne Rücksicht auf Notwendigkeit und Eignung.«
»Sie meinen, chirurgisch zu behandeln?«, hakte Rick nach.
O’Connor nickte. »Sämtliches Personal hat eine medizinische
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