Totenhaut
dass er nie dazu kommen würde, das Haus zu putzen. Sie stellte sich vor, wie die Küche wohl aussah. Vielleicht sollte sie anrufen und fragen, wie es ihm ginge. Wenn er Reue zeigte über seine Gewalttätigkeit und bereit wäre, eine Therapie zu machen, dann konnten sie vielleicht darüber reden, ob sie …
Sie schüttelte den Kopf, als sie erkannte, in welchen Hinterhalt ihre Gedanken sie gelockt hatten. »Wie kannst auch nur daran denken?«, fragte sie ihr Konterfei im Rückspiegel und konzentrierte sich auf den ersten Schimmer der Hoffnung auf ein Leben frei von Angst. »Du gehst nicht zurück.«
Sie schaltete das Radio ein. In den Sieben-Uhr-Nachrichten wurde der Schlächter von Belle Vue erwähnt. Der Polizei war es noch immer nicht gelungen, das dritte Opfer zu identifizieren – wieder wurde die Bevölkerung aufgefordert, sich bei der Sonderkommission zu melden, falls sie Auskunft geben konnte über eine vermisste Frau um die zwanzig, mit schulterlangem, braunem Haar und einer auffälligen Tätowierung auf dem Unterleib. Eine Tätowierung?, dachte Fiona. Das war ein Detail, von dem früher nie die Rede gewesen war.
Eine dünne Gestalt kam den Weg dahergeeilt und betrat das Motel. Fiona wartete, bis der Tagmanager davongefahren war, dann stieg sie aus.
Dawns Gesicht blieb ausdruckslos, als Fiona durch die Tür trat.
»Hallo«, grüßte Fiona verunsichert.
»Was wollen Sie?«, fragte Dawn und beschäftigte sich angelegentlich mit irgendwelchen Papieren.
»Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen. Ich wollte dir keine Schwierigkeiten bereiten.«
»Wollten Sie nicht? Na, das ist ja gründlich in die Hose gegangen. Was haben Sie sich eigentlich gedacht, was passiert, wenn Sie zu einem Bullen gehen und ihm erzählen, Sie haben gehört, wie im Nebenzimmer jemand umgebracht wurde?«
Fiona seufzte. »Ich war völlig von der Rolle, nachdem ich das gehört hatte. Und als ich dann später den Bericht in der Zeitung gelesen habe … Ist dir klar, dass die Leiche nur ein Stück die Straße runter gefunden wurde?«
»Natürlich weiß ich das. Herrgott, ich muss jeden einzelnen, beschissenen Tag von der Bushaltestelle dort hierher laufen.«
»Oh, Dawn.« Fiona zog vor Mitgefühl die Stirn in Falten.
Einen Augenblick sahen sie einander an.
Dawn wischte ein Haar vom Tresen. »Aber es ist nichts passiert. Nach ein paar Minuten hat er sich wieder getrollt.«
Fiona sprach so beiläufig wie möglich. »Dann hat er hier also nicht rumgeschnüffelt?«
»Nein, zum Glück nicht.« Dawn griff nach einer Zigarette und bot auch Fiona eine an. »Ich dachte schon, er würde sich zumindest im Zimmer umsehen, aber er fragte mich nur, ob ich schon mal von einem Mädchen namens Alexia gehört hätte.«
Fiona schäumte vor Wut, weil Jon ihr gegenüber behauptet hatte, er hätte das Motel durchsucht.
»Und? Hast du?«, fragte sie. »Die Frau, der diese Begleitagentur gehört, meint, dass jemand, der diesen Namen benutzt, versucht haben könnte, bei ihr einen Job zu ergattern. Ich glaube, dass dasselbe Mädchen in einem Massagesalon nur ein paar Schritte vom Apollo entfernt gearbeitet hat. Hurlington Health Club nennt der sich.«
Dawn hob die Klappe des Tresens hoch. »Du warst ziemlich fleißig. Komm, trinken wir einen Kaffee.«
Sie gingen in das Büro hinter dem Empfang und setzten sich in die bequemen Sessel.
»Erzähl weiter«, forderte Dawn Fiona auf.
»Also, ich glaube, es handelt sich um dasselbe Mädchen. Könnte natürlich auch eine Alicia gewesen sein – das mit den Namen war nicht ganz klar.«
Dawn suchte nach ihren Zigaretten. »Und wie sah dieses Mädchen aus?«
Fiona runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht so recht. Ungefähr meine Größe, schulterlanges, braunes Haar. Anscheinend hübsch, aber das Gesicht ein bisschen spitz. Könnte sein, dass sie Drogen nimmt.«
Dawn sah hoch, ein verhärmter Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. »Wie alt?«
»Jung. Maximal zwanzig.«
Aus irgendeinem Grund schien Dawn erleichtert. Sie öffnete eine Schreibtischschublade und holte eine neue Flasche Cognac heraus. »Klingt nicht nach jemandem, der hierherkommt. Wie wär’s mit einem Schlückchen?«
Die leuchtende Flüssigkeit schwappte in der Flasche hin und her. Fiona spürte, wie sich ihre Halsmuskeln in Vorfreude auf das Gefühl der Wärme zusammenzogen. Sie wusste, dass es nicht bei einem Schluck bleiben würde, und die Vorstellung, wieder in einem der schauerlichen Zimmer des Motels zu landen, war der Ansporn, den sie
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