Totenhaut
Fiona ihre Frage direkter. »Hallo, ich suche Alexia. Haben Sie sie irgendwo gesehen?«
Die Frau drehte sich um. Ihre Kiefer mahlten, und die Lippen waren geöffnet, als bearbeite sie ein Stück Kaugummi. Das verlieh ihrem Gesicht einen leeren Ausdruck.
»Was ist los?«
»Ich suche ein Mädchen namens Alexia. Haben Sie sie gesehen?«
Die Frau kratzte sich im Nacken. »Rotbraunes Haar? So groß?« Sie hielt eine Hand in Höhe ihrer Ohren.
Fiona nickte.
»Schon eine Weile nicht mehr. Wer sind Sie?«
»Eine Freundin. Ihre Mutter und ich sind sehr gute Freundinnen.«
Die Stimme der Frau wurde schärfer. »Vielleicht will sie ihre Mutter ja gar nicht sehen. Nicht, nachdem sie sich auf die Seite von ihrem Vater gestellt hat. Bei dem, was der ihr angetan hat.«
Trotz der Bedeutung, die in dieser Bemerkung lag, spürte Fiona, wie Aufregung sie erfasste. Diese Frau war mehr als eine flüchtige Bekannte. »Es tut ihr leid. Und er ist nicht mehr da. Ihre Mutter will nur, dass sie zurückkommt. Hören Sie, können wir irgendwo einen Kaffee trinken und uns unterhalten?«
Wieder kam ein Auto heran. Die Frau warf einen Blick darauf, dann sah sie wieder Fiona an. »Wenn Sie zahlen. Es kostet dreißig Pfund.«
Fionas hoffnungsvolles Lächeln verschwand. »Es tut mir leid, so viel Geld –«
Die andere fiel ihr ins Wort: »Stoßzeit, Schätzchen. Ich kann’s mir nicht leisten, mich ausgerechnet jetzt ins Café zu setzen.« Sie trat an den Gehsteigrand, und der Wagen blieb stehen.
Fiona wandte sich ab. Das Ganze war ihr so peinlich, als sähe sie jemandem zu, wie er die Toilette benutzte. Sie machte Anstalten, die Straße zu überqueren.
Die Frau öffnete die Beifahrertür. »Versuchen Sie’s im Crimson«, rief sie Fiona zu. »Könnte sein, dass sie da die Gratiskondome einsammelt.« Sie stieg ein, und der Wagen fuhr davon. Crimson? Was war das denn?
Fiona wollte schon zu dem ersten Mädchen zurückgehen, doch die hatte offenbar alles mit angehört. »Da zurück und die zweite rechts.« Sie zeigte hinter Fiona, auf die Gegend um die Canal Street.
»Danke«, sagte Fiona und wandte sich um.
Die Seitenstraße war wie ein enger Durchgang, kaum breit genug für ein Auto, und sie zögerte, bevor sie einbog. Dunkle Umrisse kauerten bedrohlich in den Hauseingängen, und Fiona war sich nicht sicher, ob das alles volle Müllsäcke waren. Schon beim ersten Schritt blieb sie mit dem Absatz zwischen den Pflastersteinen hängen. Ein Stück weiter vorne standen Leute in einem Kegel sanften roten Lichts. Sie kamen und gingen durch eine Tür. Fiona warf einen Blick zurück auf die Normalität der in strahlendes Licht getauchten Portland Street und dachte an den Mann in der Bar mit der prall gefüllten Brieftasche.
18
J
on saß mit hochgezogenen Schultern über sein Bier gebeugt und genoss den tremolierenden Gesang von Beth Orton, als er Ricks Stimme hinter sich vernahm. Er drehte sich um und sah zu seiner Erleichterung, dass Rick leger gekleidet war, sein gestreiftes Hemd trug er über der Hose.
»Ja, mir geht’s gut, Kumpel«, sagte Jon. »Was trinkst du?«
»Gin-Cola, danke.«
Als Rick sich auf den Barhocker neben ihn setzte, spülte eine Woge Rasierwasser über Jon hinweg. »Und, bist du bereit?«
»Bereiter geht’s gar nicht.« Jon nahm sein Glas und trank einen Schluck.
Sie besprachen die Fortschritte des Tages oder besser gesagt deren Nichtexistenz. Noch immer hatte sich niemand gemeldet, der eine junge Frau vermisste, auf welche die Beschreibung des dritten Opfers passte. Vermisstenmeldungen aus dem ganzen Land waren auf Übereinstimmungen mit Fingerabdrücken, DNA und Zahnarztunterlagen überprüft worden, aber ohne Erfolg. Sämtliche Informationen über Gordon Dean und den Tätowierer aus Afflecks Palace waren in HOLMES eingeben worden. Darüber hinaus war ein neuer Indexpunkt »Körperkunst/Piercings« eröffnet worden. Trotz Ricks Optimismus ergaben sich dadurch keine Querverbindungen zu Angela Rowlands oder Carol Miller.
Sie tranken aus und machten sich auf den Weg zum Crimson. Als sie in die enge Seitenstraße einbogen, sahen sie schon viele Leute in das leuchtende Rot verschwinden. Jon musste an Motten denken, die von einer Flamme angezogen wurden.
Eine Gruppe von drei jungen Männern – jugendlich bis Anfang zwanzig – wartete am Eingang. Sie trugen Jeans, Sportschuhe und Baseballmützen.
»Keine Chance«, prophezeite Rick leise, während sie näher kamen.
Und tatsächlich ließen die Türsteher alle
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