Totenklage
ziemlich schwer verletzt. Man hat ihr gerade ein sehr starkes Beruhigungsmittel gegeben, sie schläft. Wenn sie aufwacht, sage ich ihr, dass Sie angerufen haben.«
»Tun Sie das bitte. Sagen sie ihr, sie möchte mich anrufen. Wegen des Praktikums im Weißen Haus. Sie weiß dann Bescheid. Hat die Polizei eine Ahnung, wer das getan hat?«
»Nein, keinen Schimmer. Man hat ihr die Handtasche weggenommen, ihren Computer und den iPod. Sie war wohl ein unübersehbares Opfer, eine junge Frau, die nachts mit einem Aktenkoffer unterwegs ist. Ich hab sie schon so oft gewarnt …« Seine Stimme brach, und ein leises Schluchzen war zu hören. »Eines kann ich Ihnen sagen, wenn ich diese Schweine in die Finger kriege …«
Jake beendete das Gespräch. Goodman?, dachte er.
Exmilitärs verfahren nicht wohlwollend mit Verrätern. Hatten sie mitbekommen, dass sie mit ihm gesprochen hatte? Er musste an die Überwachungskameras in Goodmans Amtssitz denken...
Vorläufig war da nichts zu machen.
Er griff erneut zum Telefon und rief Thomas Merkin beim Republican National Committee an. »Tom, hier ist Jake Winter.«
»Hey, Jake. Ich hab gehört, du wärst mit dieser Lincoln-Bowe-Geschichte zugange.«
»Ja, bin ich. Ich würde gern vorbeikommen und mit einer eurer Mitarbeiterinnen sprechen«, sagte Jake. »Einer Barbara Packer.«
»Barbara? Worüber?«
»Über Senator Bowe«, sagte Jake. »Was sie darüber gehört hat, wenn überhaupt. Soweit ich weiß, war sie mit ihm befreundet.«
»Bleib dran, ja? Ich schau mal, ob sie da ist.« Er klickte sich aus der Leitung, und dreißig Sekunden später war er wieder da. »Sie ist zwar hier, aber sie weiß nichts über Senator Bowe.«
»Ich möchte ja nur ein bisschen plaudern«, sagte Jake.
»Moment.« Diesmal blieb er länger verschwunden, und als er wieder zurück war, fragte er: »Braucht sie einen Anwalt?«
»Ich bin doch kein Ankläger, Tom, und auch kein Ermittlungsbeamter.« Doch er schlug einen schärferen Tonfall an. »Ich versuche nur, die Dinge in Ordnung zu bringen. Wenn sie einen Anwalt möchte, ist mir das recht, aber ich hab bisher noch nicht mal eine Akte in dieser Sache angelegt.«
»Na schön.« Merkin klang misstrauisch. »In einer Stunde?«
»Bis dann.«
Er rief Howard Barber in seinem Büro an. Eine Sekretärin sagte, dass er unterwegs sei, aber am frühen Nachmittag zurückerwartet würde. Jake hinterließ eine Nachricht.
Zum RNC.
Er beschloss, mit dem Taxi zum Tidal Basin zu fahren, sich die Kirschblüten anzusehen und dann zu Fuß hinüberzugehen. Die Kirschbäume blühten prächtig in einem so hellen Rosa, dass es fast weiß aussah. Eigentlich waren sie weiß, dachte er und kratzte sich am Kinn. War das schon mal jemandem aufgefallen?
Das Kirschblütenfest hatte bereits begonnen, und es waren Horden japanischer Touristen mit Kameras da, also ging er weiter, setzte sich in ein Straßencafé, aß ein Sandwich, trank eine Tasse Kaffee und beobachtete, wie die Washingtoner Frauen mit ihren neuen Frühjahrssachen über die Bürgersteige schwebten …
Vom Klopfen seines Stocks begleitet, ging er weiter und pfiff eine Melodie von Mozart vor sich hin. Die Dinge gerieten in Bewegung. In zwei Tagen wäre er mit Bowe fertig, dachte er. Dann könnte er vielleicht mit Danzig über den Wahlkampf reden …
In letzter Zeit hatte es einige unerfreuliche Zwischenfälle beim RNC gegeben. Zuletzt hatte ein Lehrer, der angeblich einen Dynamitgürtel umgeschnallt hatte, versucht, sich auf der Treppe zum Gebäude in die Luft zu jagen – aus Protest gegen die Bildungspolitik der Republikaner. Ein Protest, den Jake vollkommen berechtigt fand.
Wie sich herausstellte, hatte der Lehrer selbst zu wenig Bildung mitbekommen. Er hatte nämlich keinen Dynamitgürtel um, sondern einen Gürtel mit Zündkapseln. Er hatte die hightechmäßig aussehenden Zündkapseln, die er in einem Steinbruch gestohlen hatte, mit Dynamit verwechselt, und statt sich komplett in die Luft zu jagen, hatte er sich mehrere Fleischund Fettbrocken von der Größe eines Hamburgers weggesprengt und war auf einem Auge blind geworden.
Als Folge dieses Zwischenfalls hatte das RNC ein hochleistungsfähiges Sicherheitssystem installiert und war nun fast so gut geschützt wie das Weiße Haus. Was allerdings keinem Passanten auffallen würde. Durch eine Glaswand sah man in eine schicke Empfangshalle, in der eine Frau ungeschützt hinter einem Schreibtisch aus Holz saß, alles ganz einladend und offen. Die
Weitere Kostenlose Bücher