Totenklage
Während sie Jake den Weg beschrieb, tätschelte sie seinen Arm. Fasst offenbar gerne Leute an, dachte er. Aber sie war lediglich freundlich und lächelte, als sie ihn losschickte. Wäre er fünfzehn Jahre jünger gewesen, er hätte nach ihr gelechzt.
Vielleicht tat er das auch jetzt ein bisschen.
Da war natürlich Madison – die Frau, nicht die Stadt. Madison, die ihn einmal geküsst hatte. Und dann nicht mehr. Er dachte darüber nach, während er mit Hilfe der handgezeichneten Karte zum Campus ging.
Die Karte, die die junge Frau gezeichnet hatte, war zwar ziemlich genau, hatte aber keinen Maßstab. Er musste fast eine Meile laufen, zuckte zusammen, als ein großer Geländewagen mit dunkel getönten Scheiben langsam neben ihm herfuhr. Musste an die Prügel denken, die er bezogen hatte. Wenn Gott ihm diese Kerle zurückgäbe …
Er lächelte bei dem Gedanken.
Es war ein schöner Tag, wärmeres Wetter kündigte sich an, und die Collegestudentinnen legten allmählich ihre winterlichen Hüllen ab und liefen in eng anliegenden Jeans und anschmiegsamen, die Brüste abzeichnenden Tops herum. Wunderbar.
Vielleicht sollte er sich einen Roman kaufen, dachte Jake. Er hatte gerade den ersten Band einer Romanserie von Derek Robinson über britische Piloten im Ersten Weltkrieg gelesen und war gespannt auf den nächsten. Außerdem waren Universitätsbuchhandlungen natürlich der wahrscheinlichste Ort, an dem er seine eigenen Bücher finden würde; wie die meisten Autoren sah er immer nach, ob sie vorrätig waren.
Es war ein guter Laden. Sie hatten The Goshawk Squadron
von Robinson vorrätig sowie seine eigenen beiden Bücher, allerdings nur je ein Exemplar und, wie er fand, etwas versteckt. Als er sicher war, dass niemand guckte, stellte er einige mit dem vorderen Einband zum Betrachter im Regal stehende Bücher so um, dass nur noch ihr Rücken zu sehen war, und drehte seine Bücher mit dem Gesicht nach vorn. Sie standen zwar immer noch sehr weit unten im Regal, aber dagegen konnte er nichts tun.
Immerhin beide Bücher. Zufrieden überquerte er die Straße, kaufte sich einen Bagel mit Frischkäse, setzte sich auf eine Bank in der Sonne und begann, über die Goshawks zu lesen …
Madison Bowe stand hinter der Haustür und beobachtete durch den Einsatz aus geätztem Glas, wie Howard Barber aus seinem Auto stieg, die Krawatte gerade zog, die Jackentaschen abklopfte, als ob er seinen Schlüssel suchte, und schließlich auf die Haustür zuging. Er trug einen dunklen Anzug und die gewohnte Sonnenbrille im Wrap-around-Design. Als er die Hand nach der Klingel ausstreckte, öffnete sie die Tür.
Er trat ein und nahm die Sonnenbrille ab. »Maddy, was ist passiert, du klangst so …«
Sie schlug heftig nach ihm. Nicht mit ausgestreckter Hand, sondern mit geballter Faust versuchte sie, ihn so fest wie möglich an der Wange zu treffen. Doch sie war keine große Frau und hatte noch nicht oft jemanden geschlagen, deshalb war er in der Lage, ein wenig zurückzuzucken, bevor der Schlag landete, was ihm einiges von seiner Wucht nahm.
Sie versuchte es noch einmal, doch diesmal war er darauf gefasst und wehrte den Schlag ab. »Hey, hey, was zum Teufel soll das?«
Sie brüllte ihn an. »Du hast Lincoln getötet, und du hast Schmidt getötet, und jetzt fällt die ganze Sache auf uns zurück.«
»Nein, nein, nein …« Er hatte die Hände gehoben und wich vor ihr zurück.
Sie spuckte vor Wut, und ihre Worte überschlugen sich. »Lüg mich nicht an, Howard. Ich weiß von dem Gehirntumor, ich weiß von den Medikamenten. Ich bin die ganze Nacht aufgeblieben und hab nach Erklärungen gesucht, aber es gibt keine. Du hast Lincoln getötet, und du hast Schmidt getötet. Und nun hat Jake Winter von dem Dossier erfahren und sucht danach.«
»Verdammt«, murmelte Barber und ließ die Hände sinken. Sie ging einen Schritt auf ihn zu. »Maddy, schlag mich nicht noch mal«, sagte er. »Das hat ganz schön wehgetan. Hör mir bitte eine Minute zu.«
»Howard …«
»Linc ist in … der Wohnung eines Freundes gestorben. Er hat die ganze Sache geplant, einschließlich der Rolle von Schmidt. Nachdem er tot war, haben wir ihn in den Keller gebracht und auf ihn geschossen. Wir haben so auf ihn geschossen, dass die Kugel im Körper bleiben würde, und den Revolver in Schmidts Haus geschmuggelt.«
»Und Schmidt getötet«, schrie Madison, hoffte jedoch, dass er es abstreiten würde.
Das tat er.
»Wir haben Schmidt nicht getötet. Schmidt ist
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