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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Bingham
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Prostituierten und StreetSafe-Mitarbeitern. Wir fischen im Trüben. In trüben, kalten, verregneten Gewässern.
    So verbringe ich die Morgenstunden.
    Nachmittags – nein, besser: am frühen Abend – dann das genaue Gegenteil. Inzwischen sieht mein Alltag so aus: Gegen vierzehn Uhr bin ich wieder im Cathays Park. Ich verbringe eine Stunde mit Papierkram, und um drei steht eine Besprechung mit Jane Alexander an. Sonntags natürlich nicht. Da nehme ich mir frei. Samstags arbeite ich halbtags, bin danach allerdings zu erschöpft, um abzuschalten. Aber bis auf diese Arbeitspausen – die sich gar nicht wie Pausen anfühlen – reden wir mit so vielen Prostituierten wie möglich, versuchen, ihr Vertrauen zu gewinnen, versuchen, Jackson irgendetwas in die Hand zu geben, mit dem er den Fall lösen kann.
    Anfangs war unsere Vorgehensweise recht einfach: Wir trommelten so viele Prostituierte wie möglich zusammen – vorzugsweise natürlich in einer ihrer Wohnungen; das Präsidium vermieden wir unter allen Umständen – und bestachen sie mit Kuchen und Schokolade. Dann zeigten wir ihnen Fotos. Massenweise Fotos. Fotos der Opfer: Janet und April Mancini, Stacey Edwards, Ioana Balcescu. Fotos von jedem, der irgendwie mit dem Tatort oder dem Hauptverdächtigen in Verbindung gebracht werden kann: Sikorsky, Kapuscinski, Leonard, Vaughan, Lloyd und alle möglichen anderen Leute, die mit ihnen, besonders mit Sikorsky, zu tun haben. Fotos, die von Überwachungskameras aufgenommen wurden und auch nur entfernt relevant sein könnten. Fotos aus den Fletcher-Ermittlungen in Newport. Fotos von den russischen Geschäftspartnern der Reederei, die möglicherweise im Drogengeschäft mitmischen. Fotos über Fotos.
    Das brachte gar nichts. Die ersten Tage tappten wir völlig im Dunklen. Kyra, die törichterweise am Telefon so offenherzig mit mir geplaudert hat, machte völlig dicht, sobald sie begriff, was wir von ihr wollten. Die anderen Mädchen waren auch nicht sehr gesprächig. Sobald wir ihnen die wichtigen Fotos zeigten – die von Sikorsky, Kapuscinski oder Stacey Edwards –, schwiegen sie wie die Gräber. Sie aßen unseren Kuchen, rauchten Kette und drückten sich vor unseren Fragen wie Teenager vor einem Familienfest. Als Jane dann die strenge Polizeibeamtin rauskehrte, war die Stimmung völlig im Keller.
    Nach zwei fruchtlosen Tagen schlug ich vor, etwas anderes zu versuchen. Wir baten Tomasz, stapelweise Fotos von Berühmtheiten aus dem Internet auszudrucken. Filmstars, Fernsehschauspieler, Sänger. Schlauerweise mischte Tomasz Bilder von Leuten darunter, die nur in Polen oder den Balkanländern berühmt sind, was die osteuropäischen Mädchen dazu brachte, wie die Hühner zu gackern.
    Sie gackerten und gackerten. Die Unterhaltung kam in Schwung. Wir mischten fröhlich die Bilder, sodass sie keine bestimmte Ordnung mehr hatten, und die Mädels wurden viel gesprächiger. Als wir das Foto von Tony Leonard zeigten, sagten zwei der Mädchen, dass er ihnen erst kürzlich Drogen verkauft hatte. Bei den Bildern von Sikorsky und Kapuscinski schwiegen sie weiterhin, doch dieses Schweigen hatte eine Bedeutung – es war ein Zeichen, dass sie etwas wussten, das sie aber nicht erzählen wollten, und nicht nur Ausdruck des generellen Missfallens darüber, dass Polizeibeamte in ihren Wohnzimmern saßen.
    Als wir das Haus an diesem Abend verließen – es lag ganz in der Nähe des Taff Embankment –, sprühte Jane Alexander vor Vergnügen und legte sogar ein kleines Freudentänzchen auf dem Asphalt hin. Eine dünne blonde Ginger Rogers, die zum Fluss hinuntertänzelte.
    » Das war brillant«, sagte sie. » Das war das Beste, was mir als Kriminalbeamtin je passiert ist.«
    Sie rief Jackson auf dem Handy an. Er war gerade zu Hause. Sie sagte ihm, dass es einen begründeten Verdacht gäbe, Tony Leonard wegen Drogenhandels zu verhaften, und genug Hinweise, um eine Hausdurchsuchung zu beantragen.
    Sie lauschte dem, was Jackson zu sagen hatte. » Ja«, sagte sie. » Ja … ja.« Mit jedem neuen » Ja« versuchte sie, eine Haarsträhne hinter das Ohr mit dem Handy davor zu stecken, nur um sich kurz darauf wieder vorzubeugen, sodass ihr die Strähne wieder ins Gesicht fiel. Als sie auflegte, vollführte sie wieder einen kleinen Freudentanz und reckte die Faust in Siegerpose.
    » Jackson plant für morgen in aller Frühe eine Razzia. Anscheinend hat das Londoner Labor soeben bestätigt, dass das Heroin, das in London gefunden wurde, mit dem aus der

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