Totenklage
Killer. Russische Killer. Sikorskys Komplizen, die ihren Auftrag zu Ende bringen wollen.
Ich bewege mich. Bäuchlings schiebe ich die Waffe vor mich und ziele auf die Brust des ersten Manns. Seine Brust ist nicht schwarz wie die der Pappkameraden auf dem Schießstand. Nun ist das weiße T-Shirt das Ziel. Auf diese Entfernung kann ich es unmöglich verfehlen.
Ich schieße.
Den Schuss höre ich gar nicht. Meine Sinne sind meinem Gehirn weit voraus. Sie entscheiden, was ich wissen muss und was nicht. Und das Krachen des Schusses ist völlig irrelevant. Volltreffer – das zählt. Direkt in die Brust. Tödlich.
Der Mann geht zu Boden. Ich springe auf und schieße dabei weiter.
Der zweite Mann springt zur Kellertreppe zurück. Mein erster Schuss verfehlt ihn. Der zweite trifft seine Hüfte. Der dritte ein Bein.
Wenn ich gewollt hätte, hätte ich diesen dritten Schuss in seiner Brust versenken können. Wollte ich aber nicht. Die Gerechtigkeit soll diese Männer nicht zu schnell einholen. Der erste musste sterben, da gab es keine vernünftige Alternative. Der zweite hat eine zerschmetterte Hüfte und einen zertrümmerten Oberschenkel und wird sich nicht von der Stelle rühren.
Blöd, wie ich bin, denke ich natürlich, dass damit alles vorbei ist. In diesem Moment hätte Lev sofort reagiert – nachgeladen, die Initiative ergriffen. Ich hingegen denke nur: Gott sei Dank, es ist vorbei.
Fast.
Mr Kaliningrad der Dritte kommt mit gezückter Waffe die Treppe hinunter, bereit, mich zu töten. Tut er aber nicht, weil er kurzzeitig verwirrt ist. Er hat wohl einen Mann oder zumindest jemanden in ordentlicher Kleidung erwartet. Stattdessen erblickt er fünf halbnackte Frauen, und er braucht einen Augenblick zu lange, um herauszufinden, welche von ihnen das Feuer auf seine Kumpels eröffnet hat.
Er schießt. Ich schieße.
Der Raum ist von Donner erfüllt. Er ist so laut, dass ich den Rückstoß wahrnehme, das Geräusch selbst jedoch überhaupt nicht. Als hätte sich eine Naturkatastrophe – eine Sturmflut, ein Hurrikan, ein Erdbeben – in Schallwellen verwandelt und wäre auf diesen kurzen Zeitabschnitt in diesen winzigen Raum komprimiert worden.
Ich weiß gar nicht, was überhaupt passiert.
Ich weiß es erst, als die Waffe leer ist und der Abzug klickt und klickt und klickt.
Ich weiß es erst, als ich die zerschmetterte Hand des Mannes, das Loch in seiner Schulter und die beiden Einschusslöcher zwischen Lunge und Nierengegend bemerke. Er schießt nicht. Er steht auch nicht mehr. Er bewegt sich auch nicht viel, wenn man mal von der gesunden Hand absieht, die nacheinander verschiedene Körperteile berührt und sich immer röter färbt.
Während ich schoss, war ich der festen Überzeugung, dass er das Feuer erwiderte. Ich muss meinen Körper von oben bis unten ansehen und berühren, damit ich begreife, dass er mich nicht erwischt hat. Und das nur wegen des winzigen Vorteils, dass er ein relativ ungeschütztes Ziel war und sich nicht entscheiden konnte, wen er sich vornehmen sollte. Er hat nicht einen Schuss abgegeben. Ich rekonstruiere das alles, während ich über ihm stehe und beobachte, wie Blut im Rhythmus seines Herzschlags aus seinem Bauch quillt.
Inzwischen meldet sich auch mein Gehirn zurück. Der Augenblick des Triumphs ist vorbei. Jetzt höre ich Schritte. Irgendjemand rennt schnell aus dem Leuchtturm.
Ich fessle die Verwundeten mit Handschellen aneinander. Zum Nachladen zittern meine Hände zu stark. Stattdessen nehme ich die Waffe des Russen, die nutzlos auf dem Boden herumliegt, und schon laufe ich die Treppe hinauf und an Fletcher vorbei aus dem Leuchtturm. Den Absatz runter und durch das inzwischen offen stehende Eisengatter.
Zu einem Pfad, der an den Klippen entlangführt.
Ich renne nicht besonders schnell. Ich bin nicht so gut in Form, dass ich jetzt lossprinten könnte und danach noch zu irgendetwas fähig wäre. Ein paar Mal kann ich an günstigen Stellen einen Mann erkennen, der vor mir wegläuft. Jeans und ein T-Shirt. Aber keine Waffe – sonst hätte er ja wohl kaum die Flucht ergriffen.
Der schmale Pfad ist trocken und einigermaßen begehbar, allerdings nicht gerade eben. Überall liegen Steine herum. Ich muss mich auf die ausgetrockneten Pfützen, Ginsterwurzeln und plötzlichen Kurven auf dem Weg konzentrieren und kann deshalb nur selten nach dem Mann Ausschau halten.
Dann umrunde ich eine Biegung und stehe dem Mann von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
Er hat auf mich gewartet.
Er
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