Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenklang

Totenklang

Titel: Totenklang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sinje Beck
Vom Netzwerk:
Grünschnittcontainern herum. Aus der Richtung höre ich es nämlich rumoren. Als ich vor der Schuppentür stehe, fliegt diese mir beinahe ins Gesicht. Vor mir steht ein wutschnaubender Helfried Brandt, dessen Kopf eine für einen Menschen ungesund rote Farbe angenommen hat. Er erinnert an ein reifes Radieschen. Die weißen Haare bilden die Wurzeln. Es scheint beinahe so, als habe er mich gar nicht wahrgenommen, denn er flucht vor sich hin, wettert über einen Schweinestall und dass das Konsequenzen habe, so nicht, murmelt er, als ich mich ihm mit einem freundlichen ›Hallo‹ in den Weg stelle.
    »Gucken Sie sich das mal an! Gut, dass ich einen Zeugen habe. Kommen Sie, kommen Sie!«, packt er mich am Arm und zieht mich in den dämmrigen Schuppen. Meine Augen brauchen eine Weile, bis sie sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt haben. Auf der Werkbank ist die Decke zu erkennen, die ich für die Bergung der alten Dame herbeigeholt hatte.
    »Was sagen Sie dazu, als vernünftiger Mensch?«, will Brandt wissen und schiebt mich zum Tisch. Jetzt erkenne ich, was sich bis zur Entdeckung darin befunden haben wird: Knochen. Auch der Schädel liegt daneben.
    »Nun ja, es ist ein Friedhof«, versuche ich mich in einer emotionslosen Deutung dessen, was sich hier offenbart, »vielleicht hat er die …«
    »Zufällig gefunden! Pah«, entrüstet sich Brandt, »das ist nicht so einfach möglich und wenn, dann hätte er das melden müssen. So geht es nicht, hier wird die Friedhofsordnung verletzt und zwar grob!«, wettert er weiter und auch, dass das ja lange nicht alles sei, ich solle mal genauer hinsehen. Helfried nimmt sich einen Knochen, womöglich ein Oberschenkel und knallt ihn mir vor die Brust. Jetzt muss ich das Ding auch noch in die Hand nehmen und erkenne, dass der Knochen bearbeitet wurde. Es sieht aus, als habe jemand ein Muster dort hineingeschnitzt. Rillen und Vertiefungen, Ansätze von Bohrlöchern zeigen sich im Halbschatten. Ein kleines, sehr filigranes, leicht gebogenes Ding erregt meine Aufmerksamkeit. Ist das vielleicht ein Schlüsselbein? Beide Enden des schmalen Röhrenknochens sind aufgesägt und in gleichmäßigen Abständen sind Löcher gebohrt, drei Stück. Der Knochen ähnelt in gewisser Weise einer krummen Piccoloflöte. Brandt betrachtet derweil eine kleine, runde Feile und greift sich an den Hals. Die Kette mit dem Schlüssel zum alten Holzschränkchen ist noch da. Er murmelt etwas von Werkzeug. Während er die Feile an sich nimmt, lasse ich den Knochen in meiner Tasche verschwinden.
    »Und sehen Sie sich erst den Schädel an! Was glauben Sie wohl, was das ist?« Bei genauerer Betrachtung scheint der Totenkopf als eine Art Aschenbecher Verwendung gefunden zu haben. Die Augenhöhlen weisen kleine Ausbuchtungen auf, die man zur Ablage von Zigaretten verwenden könnte. Fragt sich, wo der Erbauer die Auffangvorrichtung für die Asche konstruiert hat. Ich nehme das Teil an mich und untersuche es von unten. Dort ist mittels Scharnieren eine kleine Platte angeschraubt, die sich zum Entleeren herunterklappen lässt. Der Klappmechanismus ist mit einem Metallstift, der sich durch den Unterkiefer bohrt, zu betätigen. Als Blechschlosser bin ich beeindruckt, kann aber einen anerkennenden Pfiff durch die Zähne zurückhalten.
    »Abartig«, sage ich stattdessen.
    »Genau«, pflichtet Brandt mir bei, »hochgradig abartig. Ich will nicht wissen, wozu die anderen Gebeine gut sein sollen. Auch will ich nicht wissen, wem sie einst gehörten. Das ist schändlich! – Das ist nicht allein das Werk von Hanf, ganz sicher nicht. Haben Sie Sommer kennen gelernt? Ach, ja, natürlich, Sie waren ja dabei«, wütet Brandt weiter, mir den Schädel entreißend.
    »Ist vielleicht nur Eigenbedarf«, versuche ich den Ball flacher zu halten.
    Jetzt schnappt Brandt hörbar nach Luft, entfernt ein grünes Tuch, wie es bei Beerdigungen um die Grube herum verwendet wird, von einem Regal neben dem Werktisch und mein Blick fällt in zwanzig leere Augenhöhlen. Aus zehn Schädeln starrt es zurück.
    »Eigenbedarf, so, so«, entkräftet Brandt das Argument, während ich in Sprachlosigkeit verharre und sich mir die Frage aufdrängt, was als nächstes kommt.
    »Ich will nicht wissen, was hier noch so alles vor sich gegangen ist im letzten halben Jahr. Das wissen Sie noch gar nicht. Beim Umbetten sind Knochen verschwunden. Sieht ganz so aus, als hätten wir sie gerade gefunden, zumindest einen Teil davon. Raus jetzt hier, ich muss das zur Anzeige

Weitere Kostenlose Bücher