Totenklang
Taste ›Ja‹ drücke.
»Hey, wo bist du?«, fragt mich eine angenehme weibliche Stimme.
»Entschuldigen Sie bitte, ich bin wahrscheinlich nicht der, den Sie sprechen wollen.«
»Wer ist denn da?«
»Tankstelle«, weiter komme ich nicht, die Dame hat aufgelegt. Ich fress ’nen Besen, wenn das nicht die Stimme von der Engel war, kündigt Kalle großspurig an. Dem Versuch, die Nummer nachzusehen, widersetzt sich das Handy durch einen PIN-Code. Wäre ja auch zu schön gewesen.
»Du warst doch wohl nicht in der Karre?«, schimpft Rudi, der, von mir unbemerkt, wieder auf den Hof gekommen ist.
»Hier«, sage ich, »hab ich in dem Wagen bimmeln hören«, und will ihm das Handy geben. Als würde ich ihm einen mit Uran angereicherten Brennstab hinhalten, so macht er einen Sprung nach hinten, wobei er mir sagt, er würde mir einen Plastikbeutel holen und ich solle das Teil dann da hineinlegen.
37
Nachdem das Ding sicher verpackt ist, beginnt Rudi zu erzählen, dass er so einen Auftrieb wie heute Morgen auf der Eremitage noch nie erlebt habe.
Wir sitzen in der kleinen Küche bei einer Tasse Mikrowellenmilchkaffee. Zwischen uns ein Teller mit Bienenstich, den Rudi mit einer schnellen Bewegung an die Kante schiebt. Der Appetit scheint ihm verdorben, mein Magen hingegen knurrt. Mit jedem weiteren Wort aus Rudis Mund vergeht aber auch mir die Lust auf Kuchen, der Hunger bleibt.
Brötchen, Brot und Bienenstich seien auf der B 54 und deren Graben verstreut worden, dazwischen blutige Mullbinden, bekackte Windeln, aber was für Teile, Rudi macht Anstalten, näher darauf einzugehen, doch ich winke ab. »Ich habe es verstanden, danke. Waren die Behälter denn nicht versiegelt?« »Sicher, einige waren ja auch noch zu, doch zwei hat der Aufprall aufplatzen lassen. Ich kann dir sagen … bei einem Gips kam es mir vor, als wäre der Arm noch drin. Dann lagen da noch so seltsame Beutel umher, Spritzen, Ampullen, ein Zeug, mittendrin der Bienenstich«, Rudi betrachtet den Teller an der Tischkante mit Abscheu.
»Hast du die Fahrer gesehen?«, frage ich, die Verwunderung noch im Kopf über die Anruferin von eben, die sehr gut Felicitas hätte sein können.
»Nee, als ich ankam, waren die schon im Krankenwagen. Bäckerkarls Hiltrud hat den Subaru selbst gefahren. Sie hat wohl nicht viel abgekriegt. Der Wäschereifahrer ist von auswärts, nehme ich an. Ich hörte, wie seine Personalien festgehalten wurden. Ein Pole. Eins war komisch«, hält Rudi inne und man kann beinahe hören, wie er den Film von heute Morgen zurückspult und die Szene in Zeitlupe zu betrachten scheint, die er jetzt als komisch definiert. Sein Blick klärt sich und es sieht so aus, als wolle er aufstehen und die Sache vergessen.
»Was?«
»Ach, wahrscheinlich nichts. Nur so ein Gefühl«, jetzt steht er auf, um seinen erkalteten Milchkaffe erneut den Mikrowellen auszusetzen.
»Ja?«, merke ich interessiert an.
»Mir kam es so vor, als hätte ein zweiter Mann im Wäschereiwagen gesessen.« Endlich hat er es heraus.
»Woran …«, weiter komme ich gar nicht, denn Rudi erklärt mir bereits, was ihn auf den Gedanken gebracht hat.
»Zwei Thermoskannen wurden sichergestellt, eine billige und so eine Luxuskanne, die sich selbst unter starkem Beschuss nicht verformt. Dann die angebrochene Stange steuerfreier Zigaretten, daneben habe ich aber auch Blättchen gefunden. Wenn du genau guckst, findest du sicherlich Tabakkrümel auf dem Beifahrersitz. Dein Handy passt da ganz gut in mein Bild«, Rudi nimmt einen Schluck aus seiner Tasse und verbrennt sich den Mund.
»Verdammt, die Tasse ist glühend heiß, der Kaffee kalt!«
»Was meint die Polizei?«
»Zur Kennzeichnungspflicht mikrowellenungeeigneter Behälter?«, knurrt Rudi. Ich verziehe das Gesicht.
»Ach, die. Was sollen die schon sagen. Die waren mit der Absperrung zugange und was meinst du wohl, wie viele Gaffer und Brotsammler sich da plötzlich einfanden. Unglaublich. Der Fahrer hat nichts von einem Kollegen erwähnt. Daher haben die auch nicht nach einem gefragt.«
Ich nicke und mein Blick fällt auf den Kuchen. »Bin sehr gespannt, was für Abfallteile der Kategorie C sich als fehlend herausstellen.«
»Teile?«, fragt Rudi und ich erzähle vom eben gehörten Radiobericht.
»Wer braucht denn so was? – Ist ja krank!«, fasst er auch meinen Gedanken in seine Worte.
Den Schluss unserer Unterhaltung hat Susanne, die gerade hereingekommen ist, um sich ein Stück Kuchen zu holen,
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