Totenklang
war, fress ich zu dem Besen auch gleich noch Handfeger und Kehrschaufel, bemerkt Kalle putzmunter.
Erst gegen 4 Uhr soll ich heute im ›Hank‹ sein, was bedeutet, dass ich jetzt Zeit hätte, um meine Arbeitskraft Brandt anzubieten. Ich kann mich ja dumm stellen, nichts einfacher als das, und vergessen haben, dass Kollegin Engel mich anrufen wollte, wenn ich gebraucht werde.
In Windeseile ziehe ich mich an, wobei mich das Gebiss in der Hosentasche abermals in die Leiste zwickt. Gut geräuspert wähle ich die Nummer des Institutes, in Erwartung, dass Felicitas den Hörer abnimmt. Tut sie aber nicht.
»Sternenstaub. Brandt. Was dürfen wir für Sie tun?«, schnurrt es freundlich aus dem Hörer.
»Himmel hier. Genau das wollte ich Sie auch gerade fragen. Können Sie mich heute bis circa 3 Uhr gebrauchen?«
»Gut, dass Sie anrufen, kleinen Moment bitte.« Es ist zu erahnen, dass Brandt mit dem Hörer in der Hand herumläuft, dabei summt er eine mir unbekannte Melodie, unterbrochen von Engel-Rufen.
»Ah, da sind Sie ja«, sagt er, meint aber sicherlich nicht mich. »Na, was sehe ich denn da, Sie wissen doch, keine Privatbesuche von Lebenden, haha. Haben Sie schon gehört, ob Hanf aufgetaucht ist?«, fragt er Felicitas und ergänzt:
»Himmel ist in der Leitung.« Von ferne höre ich sie sagen, dass Hanf wohl heute noch nicht erschienen ist.
»Haben Sie es?«, fragt Brandt jetzt laut und deutlich mich.
»Ja, dann«, setze ich an.
»Dann kommen Sie zum Friedhof, wir treffen uns dort. Glück im Unglück«, sagt er fröhlich. Aufgelegt.
»Und?«, will Susanne wissen.
»Und?«, frage ich zurück.
»Mir geht es gut«, antwortet sie mit einem Lächeln und gießt mir einen Kaffee ein.
»Mir auch. Danke. Fahre gleich zum Friedhof und anschließend zur Kneipe.«
»Gute Reihenfolge«, meint Susanne und dass ich mein Auto wiederhaben kann. Rudi hätte es gewaschen und betankt, da er ja mit seiner Erbtante nicht dreckig und trocken hätte fahren wollen. Zum Notar, das sagt sie bedeutungsschwer. Ich nicke und ziehe die Augenbrauen in die Höhe. Mich beschäftigt mehr, was oder wer Uriel ist. Klingt irgendwie mystisch. Meine esoterische Ex wüsste dazu bestimmt eine Geschichte.
»Sagt dir Uriel etwas?«, frage ich Susanne, die dabei ist, neuen Kaffee aufzugießen.
»Meerjungfrau. Nein, die hieß Ariel. Lass mich nachdenken«, sie zählt die Löffel Pulver ab. »Zwo, drei, vier – ich glaube, der vierte Erzengel heißt Uriel. – Guck nicht so, hatte mal einen jüdischen Brieffreund, der Hebräisch studierte. Michael, Gabriel und Raphael, der vierte namens Uriel steht für irgendwas mit Licht oder Flammen – fünf, sechs, sieben –, ich guck mal im Internet – ja, sieben Engel sollen es gewesen sein, die um den Herrgott versammelt waren«, sinniert Susanne, drückt halbanwesend den Knopf der Kaffeemaschine, trifft ihn erst beim zweiten Mal richtig und folgt mechanisch dem ›Kundschaft‹-Ruf ihres Mannes. Es scheint, als hätte die Frage nach Uriel ihre Erinnerung belebt und Interesse geweckt, denn sie bekam so einen gewissen verklärten Blick, als ihr der Brieffreund einfiel.
Irgendwie passt der Name Uriel ins Bild. In welches Bild genau, das wird sich zeigen. Engel, Himmel, Brandt. Wer nennt sich denn nach einem Erzengel? Unvollständige Frage, meint der Advokat. Wer benennt jemanden nach einem Erzengel? Der Besitzer des Handys hat den Namen vergeben, möglicherweise, weil sich die Person selbst so nennt oder aber, weil er sie so nennt. Richtig. Falls ich Felicitas heute sehe, werde ich sie mit dem Namen konfrontieren und sehen, wie sie reagiert. Mittlerweile bin ich mir so sicher wie Kalle, dass es Felicitas war, die das Handy im Beutel angewählt hat. Vielleicht lässt sich Brandt über die Person aushorchen, die eben noch bei ihr gewesen ist.
Das Handy werde ich erst mal behalten.
39
Es ist zum Verzweifeln. Das Bending an sich will ja schon gelingen, doch der richtige Ton will sich nicht einstellen. Wie ›Spiel mir das Lied vom Tod‹ klingt das alles nicht, was ich auf der Fahrt zum Friedhof der Mundharmonika entlockt habe. Grottig. Ich bin wohl noch nicht so weit.
Neben der Kapelle sehe ich Brandts Rad an der Wand lehnen. Ich durchschreite die Einsegnungshalle, doch von ihm selbst ist hier keine Spur. Man könnte ja mal rufen, aber irgendwie hemmt die Atmosphäre meine Stimmbänder und ich gehe leise wieder hinaus. Möglicherweise treibt sich mein Chef zwischen Hanfs Verschlag und den
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