Totenklang
Ganges vom Friedhof.
Helfried höre ich aus der Einsegnungshalle heraus fluchen. Er schreit in sein Handy und scheint mit einem Beamten im Clinch zu liegen. Sofort wolle er den Bauamtsleiter sprechen, ganz egal, ob er ihn aus der Pause holen müsse. Helfried hat sich jetzt mit dem Mobiltelefon dem Haufen Schutt genähert und plärrt etwas von einem Unding und das, dabei weist er auf die Trümmer, müsse er sich selbst einmal ansehen, statt dort in der Behörde auf seinem zulagengepolsterten Hintern zu hocken. Wütend stopft Brandt das Telefon wieder in seine Tasche, er hat seine Zielperson offensichtlich nicht erreicht.
»Hoffentlich räumen die das alles noch weg. Wir haben morgen die Beisetzung eines Rektors a. D. und ehemaligen Mitglieds des Stadtrates, ha, der genau zu der Zeit im Amt war, als die Friedhofserweiterung durchgesetzt wurde. Wie sieht denn das aus!«, ereifert er sich weiter. »Kommen Sie, wir haben genug Zeit vertan, jetzt müssen Sie umso schneller arbeiten!«, weist er mich an.
Ich muss die am Morgen angelieferten Kübelpflanzen allesamt aus einer Garage herausholen und sie in der Einsegnungshalle aufstellen. Man könnte meinen, dem Boss eines Pflanzenimperiums würde die letzte Ehre erwiesen.
»Mein Werkzeug! Alles weg!«, höre ich Helfried weiter toben. Ich spähe in den Raum mit der Küchenzeile. An der Stelle, wo das alte Schränkchen stand, ist nichts weiter zu sehen als ein Dreckrand auf den Fliesen.
»Was war denn drin?«, frage ich.
»Oh, nein«, seufzt er nur, ohne mir eine Antwort zu geben, stattdessen blafft er:
»Geht niemanden etwas an!«
»Haben Sie schon in den Trümmern gesucht?«, merke ich an und verschwinde. Warum ich das jetzt gesagt hätte, will Kalle wissen, doch ich weiß es selbst nicht so genau, war mehr so eine Idee, da ich mich an Helfrieds Handbewegung zum Hals erinnere und die Feile, die er dort entdeckte. Mag sein, dass ich mit meiner Frage seine eigene Vermutung traf. Brandt rennt wie angestochen hinaus. Das Unglaubliche scheint sich für ihn zur Tatsache zu formieren und das macht ihn so wütend, dass das dunkle Rot seiner Kopfhaut durch die Haare schimmert.
Nachdem ich den letzten schweren Blumenkübel in der Halle abgestellt habe, lasse ich mich vorsichtig rückwärts auf das Gesäß fallen und strecke den Rücken durch. Plötzlich kitzelt mich von hinten etwas im Genick. Ich drehe mich vorsichtig um und schaue in die Augen eines Riesenhundes. So einer von der Sorte, wie ihn Felicitas’ Freund neben sich führte. Wenn es nicht gar derselbe ist.
»Azazel, ach, hier bist du, komm, bei Fuß!«, ruft eine weibliche Stimme, die Stimme, die ich sicherlich auch schon am Handy hatte. Das mit dem ungewöhnlichen Namen angesprochene Tier lässt von der Beschnupperung meiner Person ab, trottet Richtung Seiteneingang, geht in einem Halbkreis um Felicitas Engel herum, setzt sich auf die Hinterbeine und blickt sie erwartungsvoll an. Felicitas greift in die Tasche ihrer Jacke und gibt ihm eine Belohnung.
Uriel, Azazel – da scheint jemand ein Konzept zu haben.
»Hallo, Heiner, was machst du auf dem Boden? Kommst du nicht mehr hoch?«, fragt sie mich im Herannahen, wobei ihr der Hund folgt. Sie versteht meinen Blick auf das Tier falsch, denn sie erklärt mir, dass der Wolfshund zwar gefährlich aussehe, aber im Grunde ein ganz Lieber sei. Ich bin währenddessen schnell aufgesprungen, von wegen ›nicht mehr hochkommen‹.
»Irgendwie siehst du abgerissen aus. Was ist passiert?« Aha, sie hat Brandt also noch nicht gesprochen. Ich erzähle ihr in knappen, zurückhaltenden Worten, dass uns die alte Hütte überm Kopf grob fahrlässig demontiert wurde, nachdem wir auf einen Haufen Knochen gestoßen sind, die da nicht hingehörten. Sie schaut bestürzt. Azazel leckt mir inzwischen an den Knöcheln herum, wobei mir auffällt, dass mir die Beine immer noch jucken. Jetzt hat das Tier Witterung von meinem Taschenknochen aufgenommen, pflanzt sich vor mich und beginnt das Anschlagen.
»Deiner?«, rufe ich über das Gekläff hinweg und in ihre Gedanken hinein.
»Azazel! Aus!«, der Hund verstummt.
»Frankys«, antwortet sie, nachdem der Schall des letzten Gebells in der Halle erstorben ist. Der halbe Wolf begutachtet jetzt den Bereich, der seit etlichen Jahren nur mir vorbehalten ist.
»Und du darfst ihn zur Arbeit mitbringen?« Ich drehe mich seitlich weg.
»Habe ihn ja eben erst übernommen, ausnahmsweise – wo ist Brandt eigentlich? Ich bin extra in meiner
Weitere Kostenlose Bücher