Totenklang
ich ein rhythmisches Schlack-Tock vernehme, das sich eine Holztreppe herunterarbeitet. Die Katze weicht mir nicht mehr von der Seite. Sie muss sehr verzweifelt sein, würde Marie jetzt sticheln.
Endlich, der ältere Herr, der genau so aussieht, wie man sich ältere Herren im Dorf vorstellt, kommt mit Schlappen und Krückstock auf mich zu.
»Zwei künstliche Hüften«, sagt er in einem Ton, dem weitere technische Details wie glanzverzinkt und doppelt kugelgelagert folgen müssten.
»Oh«, sage ich. Der hat bestimmt auch eine Metallplatte im Kopf oder wenigstens einige Schrauben durch die Gebeine, mutmaßt Kalle.
»Das war der Franzos«, erzählt er weiter und will gerade ansetzen, mir die Umstände näher zu erläutern, kann sich dann doch beherrschen und sagt:
»Die sind weg, soll ich ausrichten.«
»Danke für die Information«, antworte ich eilig, hebe die Hand zum Gruß und will gehen.
»Aber, wo Sie schon mal da sind – ich möchte Ihnen was zeigen. Mein Dach …«
»Tut mir leid, aber ich bin kein Dachdecker.«
»Ah, dachte nur …«
Jetzt kriege ich auch noch ein dämliches Gefühl, weil ich den alten Mann so abgespeist habe.
Erst in Neunkirchen bemerke ich die Katze auf dem Rücksitz. Sie liegt eingerollt da. Das ist ungewöhnlich, denn die Katzen, die ich kenne, hassen das Autofahren.
42
Bis heute Abend ist noch eine Menge Zeit. Nachdem ich Katzenfutter gekauft und das Tier Rudi und Susanne vorgestellt habe, muss ich herausfinden, was es mit dem Erzengel und Azazel auf sich hat. Hoffentlich habe ich den Hundenamen richtig verstanden. Susanne hatte noch keine Gelegenheit, sich um die Geschichte Uriels zu kümmern, erfahre ich. Natürlich wollten die beiden wissen, warum ich ein wenig verwüstet aussehe, doch der feierabendliche Tankstellenbetrieb lässt kein ruhiges Gespräch zu und ich muss sie auf später vertrösten. Die Computerrecherche muss auch warten, denn die Wahrnehmung im körperlichen Ruhezustand lenkt meine Aufmerksamkeit auf das Jucken meiner Beine. Erst duschen! Eincremen, rät Susanne und wirft mir eine Tube Melkfett aufs Bett.
»Das ist doch für Euter!«, rufe ich ihr nach.
»Eben drum wird es deinen Beinen auch helfen, was für Zitzen gut ist, kann Waden nicht schaden«, kontert sie.
Ist ja widerlich weibisch, ekelt sich Kalle, das wirst du doch nicht nehmen. In der Not muss ein Mann auch schon mal ungewöhnliche Entscheidungen treffen, rechtfertige ich mich vor dem Bengel. Waschen, abtrocknen, eincremen und es wirkt.
43
Auf einer Heiligenseite im Internet lese ich, dass Uriel aus dem Hebräischen übersetzt etwas wie ›Das Feuer Gottes‹ heißt. Das Lichtwesen werde oft mit einem Schwert abgebildet, sein Zeichen sei ein zuckender Blitz. Weiter heißt es im Text, dass er der Erzengel der Prophezeiung und Offenbarung sei und den Menschen göttliche Geheimnisse preisgäbe. Wer auf der Suche nach seinem inneren Licht sei, solle sich also an Uriel, der Kraft geben könne, wenden. Na, das wird mir jetzt zu esoterisch. Uriel wäre jedenfalls ein Arbeitnehmer nach modernsten Anforderungen. Ein Allroundtalent, erfahre ich bei der weiteren Recherche, denn ihm werden von unterschiedlichen Seiten diverse Fähigkeiten zugeschrieben. Neben Gabriel, Michael und Raphael sei er einer der Seraphim, die ständig Gott umgäben. Das steht eindeutig für Teamfähigkeit und Loyalität zum Arbeitgeber. Er bestrafe die Ungerechtigkeit unter den Menschen, sei der Vorsteher der Hölle. Ein konsequenter, unbestechlicher Mitarbeiter, der auch vor schwierigen Aufgaben nicht kapituliert. Die Äthiopier hatten ihn wohl auch schon unter Vertrag. Laut deren Enochbuch, vermutetes Entstehungsdatum um die 200 vor Christus, bewahrt Uriel die geistige Ordnung im Weltall, und er hat eine sogenannte Schlüsselposition, da er den Abgrund verschließt, in dem die gefallenen Engel sind. Jetzt würde mich interessieren, warum die Engel gefallen sind. Aha, da, die Frauen. Die Engel haben sich mit den Weibern eingelassen und munter Kinder gezeugt, die dann zu Riesen wurden. Das bringt mich jetzt nicht weiter. Den Eingang zum Paradies soll er auch mal bewacht haben, na, wo habe ich das denn jetzt gelesen … weggeklickt. Personalverantwortung hat er auch, denn er sei einer der heiligen Engel, die über das Engel-Heer gesetzt seien. Trotzdem scheint irgendetwas vorgefallen zu sein, da der vierte Erzengel in der Bibel nur noch im vierten Buch Esra Erwähnung findet und zwar in den alttestamentarischen Apokryphen
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