Totenklang
was willst du ausrichten, wenn es hier tatsächlich um Mord und Totschlag geht, weil, jetzt äfft er Felicitas naiv nach, alles so authentisch wie möglich sein soll – besorg dir wenigstens einen Hammer. Mit dem Hammer, zitierte mein Fachlehrer aus der Blechschlosserschule, entschied Donar über Leben und Tod, und Junge – so ist es doch auch heute noch –, schlage mit ihm einen ordentlichen Zimmermannsnagel in den Dachstuhl deines Hauses und er wird dir das traute Heim fürs Leben bringen, schlage mit ihm auf deinen Fachlehrer ein und es wird ihm den sicheren Tod und dir lebenslänglich bringen, hahaha, lachte er dann immer über seinen eigenen Scherz, den jede Klasse bis zum letzten Lehrjahr so oft hören musste, wie ein Dreijähriger Schläge braucht, um einen 1,9 mal 83 Millimeter Flachkopf-Drahtstift zur Gänze in ein Stück Siegerländer Eiche zu treiben.
Schätze, es wird eine kalte Nacht werden. Die bereits über Wald und Wiesen hernieder gegangene Feuchtigkeit kriecht mir unangenehm durch die Textilien bis auf die Haut. Nach fünf Minuten beschließe ich, mir die Decke aus dem Auto zu holen. Als ich am ersten Fenster, es ist in Kippstellung, vorbeischleiche, höre ich Felicitas ein ›Gute Nacht‹ rufen. Dann lässt sie das Rollo herunter. Okay, ihr geht es gut. Sie wird in ihrem warmen, weichen Bett schlafen. Franky scheint noch nicht die nötige Ruhe gefunden zu haben, denn ein Fenster weiter sehe ich ihn durch die Gardinen herumhantieren. Er steht mit dem Rücken zu mir und beugt sich in einen Schrank. Beim Kramen verursacht er genug Lärm, dass ich die Gelegenheit nutze und mich schnell über den Splittweg bis zur Treppe bewege. Am mit Metallstreben vergitterten Kellerfenster angekommen, wird dieses von einer nackten Glühbirne erleuchtet. Ich höre, wie die Tür aufgeschlossen wird und erahne, dass er jetzt dort etwas zu tun gedenkt. Hinter sich schließt er wieder ab. Die Decke wird warten müssen. Vorsichtig kauere ich mich in einem sicheren Abstand auf die Treppe, so, dass ich rechts durch das schmale Fenster spähen kann. Die Scheibe ist schmutzig und die Sicht wird durch mehrere Spinnweben erschwert. Frankys Kopf kommt kurz ins Bild, bevor er abtaucht. Schweres Atmen begleitet sein Tun. Jetzt befindet er sich unmittelbar vor dem Fenster. Ich sehe seine Hände, wie sie eine Leiter von innen gegen die Fensterfläche stemmen. Er scheint sie zu verkanten. Nachdem er geprüft hat, ob sie sicher steht, befestigt er am linken wie am rechten Holm breite Bänder. Unwillkürlich muss ich an Folterinstrumente denken. Frankys Anstrengungen lassen die Scheibe beschlagen. Mit einem plötzlichen Stoß scheint er etwas, oder jemanden, wie der Advokat ergänzt, gegen die Leiter gestellt zu haben. Meine Neugier treibt mich die zwei Stufen hinab und näher zum Fenster, um besser sehen zu können. Ich stehe relativ dicht an der Hauswand und gucke in einem spitzen Winkel in den circa zwei Meter hohen Raum hinein. Das Fenster ist eine Handbreit über Augenhöhe und schließt fast mit der Kellerdecke ab. Ich höre den Spielleiter wenig spielerisch schnaufen und mit einem Knall landet eine Ferse am Holm der Leiter. Mir bleibt fast das Herz stehen. Zum Glück neige ich nicht zu schrillen Schreien. Mit schnellen Griffen hat Franky den leblosen Fuß mit dem breiten Band fixiert. Innerlich stelle ich mich auf das Festbinden des zweiten Fußes ein, und das lässt nicht lange auf sich warten. Es sind große Füße, größer als meine. Es werden vermutlich Hanfs sein.
Du musst die Polizei alarmieren, meint der Advokat. Nein, ich kann hier jetzt nicht weg, um ein Telefon zu suchen, ich muss bei Felicitas bleiben, beschließe ich trotzig – außerdem scheint meine Beine eine Art Lähmung befallen zu haben. Wie angewurzelt stehe ich an die Wand gepresst.
Im Keller schleift Franky etwas über den Boden. Die Geräuschkulisse wäre geeignet, um meine Position auf der Treppe wieder einzunehmen. Ungelenk stapfe ich zu den Stufen und lasse mich steif auf der dritten von ihnen nieder. Plötzlich ist es ganz still. Es steht zu befürchten, dass das Hämmern in meiner Brust über den gesamten Fischbacherberg zu hören ist. Aus dem Keller dringt kein Laut. Sehen kann ich auch kaum mehr etwas, das Fenster ist komplett beschlagen. Links von mir raschelt es unter den Büschen. Mit einem mächtigen Radau wälzt sich ein Igelpärchen die kurze Böschung hinunter. Auf dem Splitt angekommen, geht der Akt mit lautem Geschrei weiter.
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