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Totenklang

Totenklang

Titel: Totenklang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sinje Beck
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die Zivilisation von der Wildnis des Siegerländer Mischwaldes zur Rechten. Der Himmel darüber ist sternenklar. Von hier oben hat man einen guten Blick über Siegen. Wie ein leuchtendes Band zerschneidet der rege Verkehrsfluss auf der Hüttentalstraße die Stadt.
    »Die Lampe ist kaputt«, rechtfertigt sie die Dunkelheit, in der wir eine Treppe mit schmalen Stufen heruntergehen, sie sicher, ich tastend. Trotzdem laufe ich quasi auf, da sie plötzlich auf der letzten Stufe stehen bleibt, sich zu mir herumdreht und sich für die Begleitung bedankt. Aha, du sollst verschwinden, bemerkt Kalle messerscharf.
    Ein dumpfes Geräusch dringt zu uns durch das angelehnte Kellerfenster, als wäre ein schwerer Baumwollsack mit Mehl aus einem Regal auf den harten Boden geplumpst. Niemand sagt ein Wort. Felicitas steht wie angewurzelt und hält die Luft an. Sie wird wissen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass in ihrem Keller ein Sack Mehl aus dem Regal fällt. Sie scheint mir eine weitere Nuance blasser geworden zu sein, es sei denn, das eher kühle Sternenlicht gaukelte mir was vor.
    Als nächstes hören wir, wie eine Tür geschlossen und verriegelt wird. Aus dem Keller dringt ansonsten kein Laut, aber ein Duft oder mehr Geruch entströmt ihm, es riecht ein wenig modrig, ich fühle mich an meine Achenbach-Oma erinnert. Chrysanthemen hatte sie vor ihrem Schlafzimmerfenster in einem Blumenkasten, als sie starb, alles roch danach, auch später noch. So bemerkenswert, dass ich mir nicht sicher war, ob der Duft den lila Blüten zuzuordnen war oder der transparent bläulich schimmernden Oma.
    Wir rühren uns immer noch nicht vom Fleck.
    »Ich lasse dich da jetzt nicht rein«, sagt es aus meinem Bauch heraus, »ich habe ein ganz ungutes Gefühl.«
    »Ach was«, wiegelt sie ab, »das«, sie zeigt auf das Fenster, »das ist nicht unser Keller«, lügt sie, denn mir ist nicht entgangen, dass sie zusammengezuckt ist in dem Moment, als was auch immer zu Boden ging. Oder wer auch immer, ergänzt der Advokat.
     
    Als die ersten Töne von Metallicas Song ›Some kind of monster‹ die Atmosphäre durchdringen, löst sich unsere Starre und wir gehen um die Hausecke in Richtung Eingang. Der Kerl, Franky, hat, das muss ich ihm zugestehen, einen guten Geschmack in punkto Musik und Frau und trotzdem kann ich ihn nicht ausstehen.
    Felicitas kramt in ihrer Jacke und fischt ein Schlüsselbund heraus, an dem ein Engel hängt, der sich im Futter ihrer Tasche verheddert hat. Der Engel lässt den kaputten Stoff nicht los und Felicitas wird fahrig.
    »Der Engel lässt dich auch nicht rein«, bemerke ich und beschließe, am Ball zu bleiben, während James Hetfield eröffnet: ›The monster lives‹.
    »Du hast doch eine Ahnung, was hier gespielt wird, so in etwa, und die Ahnung gefällt dir nicht, das ist klar und deutlich zu sehen«, rede ich auf sie ein und Lars Ulrich schlägt dazu einen unruhigen Rhythmus, dessen schnelles Tempo sich in den oberen Tönen zu einem Summen vereint – oder ist es das Blut in meinen Adern, das mir durch die Schläfen rauscht?
    »Gespielt wird … du sagst es! Genau, warum habe ich nicht gleich daran gedacht«, tut sie so, als wäre es ihr tatsächlich gerade erst eingefallen.
    »Ich dramatisiere bestimmt. Das ist alles sicher nur das Spiel. Alles nur für das Spiel und ich nehme es ernst«, jetzt lacht sie nervös. Irgendwas scheint sie sich jetzt in die Tasche gelogen zu haben, in eben diese Tasche, in deren Innenfutter sich der Schlüssel-Engel klammert und nicht daran denkt loszulassen. Felicitas versucht es mit Gewalt und zerreißt den letzten Zipfel der Naht, der sich bislang beharrlich widersetzt hat. Der Engel jedoch reißt vom Bund ab und fällt zu ihren Füßen. Der will auf keinen Fall mit rein.
    »Was für ein Spiel?«, will ich es jetzt genau wissen.
    ›Ominous / I’m in us‹ – das Monster geht, das nächste Stück auf der ›St. Anger‹ müsste ›Dirty Window‹ heißen, wenn Franky die Original-CD abspielt. In dem kurzen Moment der Stille legt Felicitas kurz ihren Zeigefinger auf ihre Lippen und zieht sich von der Tür zurück. Ich folge. Wir gehen um die andere Hausecke und an der lehnt ein altes klappriges Rad, dessen Vorderlampe nachlässig aus der Halterung baumelt.
    »Hanfs Rad. Dann ist er wohl noch hier«, sagt sie mehr zu sich.
    ›Am I who I think I am?‹, fragt Metallica und ich wiederhole:
    »Was für ein Spiel?«
    »Live-Rollenspiele. Kennst du die?« Kennen wäre zu viel gesagt, ich

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