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Totenklang

Totenklang

Titel: Totenklang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sinje Beck
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Griffen hatte Franky ihm die Brusthaut auseinandergeklappt, um sie mit vorsichtigen Schnitten vom Muskelfleisch zu trennen, dort, wo sie sich nicht abziehen ließ. Vielleicht hatte er das schon früher an Kaninchen geübt. Will nicht wissen, wie viele Rammler dafür draufgingen. Was hat dieser Verrückte bloß im Sinn?
     
    Meine Nasenschleimhäute sind endlich so überreizt, dass ich den Gestank gar nicht mehr wahrnehme. Doch meine Ohren sind noch hyperempfänglich und die Geräusche, die das Häuten verursacht, lassen mich den Socken ausspucken, meinen Kopf in Richtung Eimer wenden und grüngallige Reste absondern.
    »Mann, du nervst!«, werde ich angeraunzt. Franky hat endlich die Haut von Hanf runter und legt sie in einen Eimer Wasser, wäscht sie aus. Grummelt, schaut auf die Uhr, rennt wie ein Tiger hin und her, scheint etwas zu überlegen.
    »Was meinst du, mit oder ohne Haare?«
    Er wartet meine Antwort nicht ab.
    »Keine Zeit für Aschebrei – also schaben, dann die Hirnsuppe drauf. Ja, so müsste es gehen. Barachiels Härchen werde ich schnell zu zupfen wissen.«
    Mit einem Schabeisen schubbert er jetzt Hanfs Rücken. Das klingt grauenvoll und mir ist, als zöge man mir jedes Nackenhaar einzeln heraus, ganz langsam. »Das muss reichen«, sagt er nach circa einer Stunde, in der er zwei Mal draußen war. Er verlässt den Raum, nachdem er die Haut gründlich ausgewrungen hat und kommt mit einem dampfenden Topf wieder hinein. Urgh – das stinkt zum Gotterbarmen.
    »Na, auch ein Löffelchen Hirnsuppe? Könnte dir nicht schaden, was?«, er nimmt ein wenig von dem Zeug in die Hand und will es in meine Richtung werfen. Ich ducke mich. Das Hirn bleibt, wo es ist.
    »Hätte ich gewusst, dass du mir noch in die Hände fällst, hätte ich deines dazu genommen. Aber, wer weiß, was nicht ist, kann ja noch werden. – Der Zeitfaktor«, murmelt er vor sich hin, »der Zeitfaktor. Hmm.« Damit beginnt er, eine Melodie zu summen, ›Morning has broken‹, und mit Schmatzgeräuschen klatscht er die Masse auf die Haut und ich muss abermals kotzen. Der will dich verscheißern, meint Kalle, ganz sicher, vielleicht ist das gar kein Hirn in dem Topf da.
    »Mann, du nervst jetzt aber echt«, kommt es aus seiner Richtung und es wird deutlich, dass er unter großer Anspannung steht, während er die Hirnmasse in die Haut massiert und immer wieder auf die Uhr guckt. Franky unterbricht unwillig seine Arbeit, geht zum Regal, von dem aus der Kassettenrekorder dudelt, öffnet ein kleines Erste-Hilfe-Schränkchen, mixt was zusammen, das er mit einer Pipette aufzieht und spritzt es mir in den Mund. K.o.-Tropfen, behauptet er. Ich bin erlöst, erst mal. Oder tot, für länger …

47
    Donnerstag
     
    Hatten Sie schon mal eine leichenstarre Maus im Mund? Ich auch nicht. Bis zu dem Moment, der mich gewahr werden lässt, nicht selbst tot zu sein. Das Pelztier in meinem Mund stellt sich als meine Zunge heraus. Der Kopf dröhnt, mir ist schlecht. Langsam öffne ich die Augen, nachdem ich beschlossen habe, wissen zu wollen, wo ich bin. Mein erster Blick fällt auf einen Socken. Ich erinnere mich. Hanfs Strumpf, den ich ausgespuckt habe. Ich unterdrücke den Drang mich zu räuspern, da ich nicht weiß, ob ich alleine bin, hier in diesem Keller. Meine Nase fühlt sich taub an, mein Kopf ist schwer wie ein Medizinball, meine Knochen sind noch da, denn jeder einzelne schmerzt. Schmerz zu empfinden bedeutet Leben. Das ist positiv. Die Hände sind immer noch am Heizungsrohr befestigt. Mein ganzer Körper fühlt sich feindlich an. Ich betrachte meine Gliedmaßen wie herumliegende Teile nach einem Autounfall und kann nur über den Schmerz einen Bezug zu ihnen herstellen, was bedeutet, die wehen, wunden und geschundenen Stellen noch deutlicher wahrzunehmen. Allmählich setzt die Erinnerung ein, mit jedem Schlag meines Herzens, mit jedem Pulsieren in den Schläfen pocht der Überlebenswille an meine Stirn und befiehlt, ich solle mich umsehen, mich rühren. Nachschauen, was aus Hanf geworden ist, gucken, ob ich alleine bin, mich orientieren. Wäre ich eine Marionette, bräuchte es stabile Drahtseile, ungefähr so viele, wie benötigt werden, um einen Zwölf-Personen-Lastenaufzug in den 49. Stock zu ziehen, um mich in Bewegung zu versetzen. Schwer hebe ich den Kopf an und schaue mich um. Es ist Tag. Ich bin alleine. Alleine mit einem Eimer, um den Fliegen summen. Schätze, dass Hanfs Haut in Hirnmasse darin vor sich hindümpelt. Von den Überresten des

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