Totenklang

erlebte einen Teil davon auf der Freusburg während meines letzten Jobs.
    »Ritterspiele und so was?«, vergewissere ich mich.
    »So in der Art. Es gibt ein Thema, eine Story, ein Setting, ich weiß nicht, wie ich es genauer beschreiben soll. Jeder Spieler kennt zumindest den Anfang der Geschichte und seine Rolle, in der er Aufträge zu erledigen hat. Es spielen verschiedene Charaktere mit, die mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten ausgestattet sind. Das Spiel an sich ist eher frei, es wird improvisiert, es gibt kein Textskript oder so was, aber einen Spielleiter, den Regisseur sozusagen. Und Franky ist so einer, der plant, koordiniert, und neuerdings schreibt er an einem eigenen Rollenspiel. – Deshalb«, betont sie und es scheint ihr etwas klar geworden zu sein, was mir entgangen ist.
    »Weshalb?«
    »Diese Geheimniskrämerei, die Recherchen im Internet, diese Hektik, denn es soll ja bald losgehen, am Tag des Thor, das Herumglucken mit Hanf, der ist ja ein guter Handwerker. Der hat bestimmt auch die Schädel als Requisiten für das neue Spiel gebaut. Es soll ja alles so authentisch wie möglich ausgestattet sein – und ich darf eben von alledem nichts wissen, denn mir hat er eine besondere Rolle zugedacht, sagt er, und die könne ich nur befriedigend ausfüllen, wenn ich so wenig wie möglich von den Zusammenhängen erfahre.«
    Für einen diesbezüglich völlig Unbeleckten redet sie ein abgedrehtes Zeug zusammen und das mit einer Euphorie, die mir befremdlich vorkommt. Ich wäre nicht so entspannt, wenn ich den gleichen Text gesprochen hätte. Da ist gar nichts in der Botschaft, was auf eine Entschärfung der Situation hindeuten könnte – aus meiner Sicht. Aus meiner auch, meint der Advokat, Kalle hingegen beschwichtigt: ein Spiel eben, nichts weiter. Sehr überzeugend klang das aber auch nicht aus dem Kindermund. Die Spieltheorie beruhigt mich in keiner Weise. Im Inneren der Wohnung wird den Hartmetallern der Saft abgedreht. Plötzlich ist es still und wir hören, wie die Tür aufgeht. Felicitas drückt mich um die Hausecke, entwindet sich meiner Hand, die sie nur halb am Arm erwischt hat und zurückhalten will.
    Sie wirft ihrem Freund ein fröhliches ›Hallo‹ entgegen und ich höre, wie sie sich küssen. Ihh, kommentiert Kalle. Irgendwas scheinen sie sich zuzuflüstern und ich überlege, wie ich mich jetzt am geschmeidigsten hier aus der Ecke entfernen könnte. Ein Blick durch die Dunkelheit nach hinten sagt mir, dass das Grundstück zum Waldweg hin mit einer Garage abschließt. Rundherum ist es mit einem Drahtzaun umgeben. Der Weg hier weg führt also an der Haustür vorbei. Vorsichtig spähe ich um die Ecke. Der Lichtschein, der aus der Tür herausfällt, beleuchtet Felicitas, die ihren Engel aufhebt, und Franky, der sich genau in meine Richtung bewegt. Als Freund schwarzer und blauer Kleidung husche ich so leise und schnell rückwärts nach hinten und kauere mich in den Winkel zwischen Haus und Garage. Stelle dir vor, du hättest einen Tarnmantel, schlägt Kalles kindliches Gemüt durch. Ich traue mich kaum zu atmen. Franky geht zielstrebig auf Hanfs Rad zu, entlehnt es der Wand und will es über den Rasen schieben. Als er merkt, dass das Velo widerwillig laut quietscht, hebt er es an und trägt es über das Grün bis zum Zaun, der den Wald vom Grundstück fernhält. Schemenhaft erkenne ich, dass Franky das Rad hoch über seinen Kopf hält und mit einem leisen Uff über den Draht in die Wildnis wirft. Beim Aufschlagen im Gehölz klappert es und ein Vogel flattert laut schimpfend davon. Franky begutachtet seine Tat, er merkt sich wohl die Stelle, um das Rad bei Tageslicht besser zu verstecken und tiefer im Wald zu entsorgen. Mir wird ganz anders. Vielleicht liegt Hanf da drinnen auf dem Kellerfußboden und Felicitas ist in großer Gefahr. Doch, wenn sie eine besondere Rolle im Stück spielen soll, dann wird sie hoffentlich noch nicht reif sein. Denk nach, Heiner, hat sie was zum Zeitpunkt gesagt, wann das Spiel laufen soll? Am Tag des Thor, zitiert der Advokat, der ziemlich lange gebraucht hat, um die Stelle rückblickend zu finden. In der Zwischenzeit ist Franky ins Haus zurückgekehrt. Ein Salamander huscht an mir vorüber. Der Wind lässt die Blätter rascheln, ansonsten ist es still um mich herum. Kein Laut dringt aus der Wohnung.

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    Thor, oder germanisch Donar, morgen ist Donars Tag. Eines ist sicher, ich werde hier übernachten müssen. Und dann, fragt Kalle, du bist ja nicht mal bewaffnet,