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Totenkünstler (German Edition)

Totenkünstler (German Edition)

Titel: Totenkünstler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Carter
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«, hielt Alice dagegen. »Die meisten Leute hätten doch gar nicht gewusst, dass ein Kojote und ein Rabe zusammen einen Lügner und Betrüger symbolisieren.«
    »Wir wussten es auch nicht«, sagte Hunter. »Bis du es recherchiert hast, das darfst du nicht vergessen. Bis zu einem gewissen Grad ist jedes Bild Interpretationssache. Die Art, wie jemand ein Kunstwerk betrachtet, kann ganz anders sein, als der Künstler es ursprünglich beabsichtigt hat.«
    »Das da ist keine Kunst, Robert«, sagte Alice und zeigte auf die Gipsnachbildung.
    »Für uns nicht, aber für den Mörder …?« Hunter ließ den Satz unvollendet. »Abscheulich oder nicht, es ist sein Werk, seine Schöpfung, seine Kunst. Und ich wette mit dir, dass er, als er die Skulpturen gemacht hat, was ganz anderes darin gesehen hat als das, was wir jetzt sehen. Ein anderer Gemütszustand führt automatisch dazu, dass man andere Dinge sieht.«
    Alice starrte die Skulptur an. »Ein anderer Gemütszustand?«
    Hunter stand auf und ging zur Pinnwand. »Interpretation ist immer abhängig von der seelischen Befindlichkeit des Interpretierenden. Jemand kann ein und dasselbe Bild betrachten und zwei völlig unterschiedliche Dinge darin sehen, je nachdem, in welcher Stimmung er sich gerade befindet. Und genau das ist auch die Schwäche des Rorschach-Tests.«
    »Wie kann ein und dieselbe Person unterschiedliche Dinge in ein und demselben Bild sehen?« Alice hatte den Blick auf das Foto der Schattenfigur von Dupeks Boot gerichtet. »Wenn ich das anschaue, sehe ich jedes Mal exakt dasselbe: einen Teufel, der auf mehrere Personen hinabschaut, möglicherweise seine Opfer.«
    »Dann bist du nicht offen«, entgegnete Hunter. »Mal angenommen, wir haben irgendein formloses Gebilde, das einem Gesicht mit offenem Mund ähnlich sieht. Du zeigst es jemandem, der zum fraglichen Zeitpunkt gerade glücklich ist. Der wird darin vielleicht jemanden sehen, der laut lacht.«
    Garcia begriff sofort. »Aber wenn dieselbe Person aus irgendeinem Grund traurig oder schlecht gelaunt wäre, würde sie in dem Bild vielleicht jemanden sehen, der leidet und deswegen schreit.«
    »Richtig. Unsere Gemütslage hat Einfluss auf unsere Weltsicht. Das ist immer schon das größte Argument gegen den Rorschach-Test gewesen. Viele sagen, dass er nichts anderes testet als die seelische Grundverfassung der Testperson zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt. Aber in einem stimme ich dir zu, Alice. Was auch immer die Bedeutung hinter diesen Bildern ist«, Hunter zeigte auf das Foto des Schattenbildes, »es dreht sich alles darum, wie wir sie interpretieren. Das ist der Schlüssel zum Rätsel. Wenn wir die Bilder falsch deuten, wenn wir nicht rausfinden, was genau der Täter uns damit mitzuteilen versucht …« Hunter schüttelte den Kopf. »Dann, glaube ich, werden wir ihn niemals fassen.«

67
    Sie war die ganze Nacht über zappelig gewesen. Sie brauchte dringend einen Hit. Noch dringender als was zu essen. Regina Campos war es egal, was für Drogen sie nahm, Hauptsache, sie kriegte ihren Trip. Sie hatte keine Kohle, aber das machte nichts. Sie wusste genau, was sie tun musste, um an Stoff zu kommen. Sie hatte schon mit sechzehn begriffen, dass Männer Wachs in ihren Händen waren, wenn man nur wusste, was man im Bett mit ihnen anstellen muss.
    Regina war erst achtzehn, und hätte man die wenigen Menschen gefragt, die sie kannten, hätten die sie vermutlich als durchschnittlich beschrieben. Sie war durchschnittlich groß, hatte eine durchschnittliche Figur und ein durchschnittliches Gesicht. In einer Menschenmenge wäre sie nicht weiter aufgefallen. Ihre Haare waren weder lang noch kurz, und in der Schule war sie – bevor sie abgebrochen hatte – weder gut noch schlecht gewesen. Aber sie hatte Charme, und wenn sie eins wusste, dann wie sie von anderen das bekam, was sie haben wollte.
    Regina hatte eine ganze Reihe von nichtsnutzigen Liebhabern und belanglosen Affären gehabt. Na ja, nichtsnutzig stimmte genau genommen nicht, zu einer Sache hatten sie immerhin getaugt: als Quelle für Drogen. Ihr aktueller zu einer Sache taugender Liebhaber – wenn man ihn überhaupt als solchen bezeichnen konnte – war ein fauler, versiffter Ex-Knacki, der in einer Sozialwohnung in Bell Gardens hauste. Er war fett, hatte im Bett das Stehvermögen eines Neunzigjährigen, und ihm ging einer ab, wenn er Frauenunterwäsche trug. Regina kümmerte es einen Scheißdreck, was ihn antörnte. Solange er sie mit Stoff versorgte.
    Sie war

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