Totenkult
Fenster zum Mönchsberg hinüber. Baumriesen krallten sich in seine Flanken, und die Felsen hingen nach rechts, als lägen die Gesteinsschichten nur locker aufeinander und könnten jederzeit auf die Altstadt herabstürzen. Auf dem Schloss Mönchstein wehte eine rot-weiß-rote Fahne. Auch ein Luxushotel. Wie die »Arlberg Lodge«, in der laut Jessica Maries ererbtes Vermögen steckte. Wenn Roland sein ganzes Geld auf dieses Geschäft gesetzt hatte, war das Schweizer Konto sicher auch so gut wie leer. Adieu, Penthouse in Salzburg und Villa am Wolfgangsee. Aber das durfte einfach nicht sein. Es musste eine Lösung geben. Es musste.
Marie wandte sich wieder an Jessica, die die Hände auf dem Rücken verschränkt hatte und sie immer noch ansah. »Noch mal zur dieser Lodge … Das heißt also, wir haben das Ding jetzt am Hals?«
»So gesehen – ja.«
»Okay, aber irgendwas muss mein Mann damit doch vorgehabt haben. Gibt es vielleicht einen Interessenten?«
»Ich glaube nicht.« Jessica strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Aber der Chef hat mit mir nie über seine Pläne gesprochen.«
Zu einem anderen Zeitpunkt hätte sich Marie über diese Mitteilung gefreut. Jetzt war Jessicas Ahnungslosigkeit nur ärgerlich. »Dann müssen wir die ganze Anlage eben so schnell wie möglich loswerden.« Und dann wäre auch wieder Geld auf dem Konto. Marie fühlte sich schon besser.
Jessica sagte zögernd: »An wen denn?«
»Ja – keine Ahnung.«
»Eben.« Jessicas Blick schweifte zu den Stapeln am Boden ab. »Außerdem gibt’s da noch ein paar Schwierigkeiten – sozusagen.«
»Sozusagen«, äffte Marie ihren Ton nach. Sie hatte die Nase voll von deren Andeutungen und Ausflüchten. »Im Klartext – wir können derzeit nicht verkaufen?«
»Keine Chance.« Jessica schüttelte den Kopf.
»Dann eben mit Verlust.« Es würde auch so noch genug übrig bleiben.
»Nicht mal dann.« Jessicas Ton war abschließend.
»Verdammt.« Marie legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Nahm sie die Erbschaft an, hatte sie den ganzen Schlamassel am Hals. Schlug sie sie aus, war sie mittellos. Eine Wahl zwischen Pest und Cholera.
»… sterben.«
»Was?« Marie schlug die Augen auf. »Was sagen Sie?«
Jessica breitete die schlanken Arme aus. »Gerade läuft alles so gut, und da stirbt der Chef.«
»Ich denke, es gibt Probleme?«
»Der Chef hat immer gesagt, es gibt keine Probleme. Nur Herausforderungen.«
Das stimmte allerdings. »Dann läuft das Geschäft, abgesehen von der Lodge, gut?«
»Der Laden brummt.« Jessica hob die Brauen. »Hat Ihnen Ihr Mann denn das nicht gesagt?«
»Selbstverständlich hat er das.« So weit, dass sie dieser naiven Schönheit Einblicke in ihre verflossene Ehe gab, war sie noch nicht.
»Und da ist ja auch noch dieses neue Projekt.« Jessica nickte. »Der Chef hat gemeint, das wird der Hammer.«
»Der Hammer?« Das klang ganz nach Roland. »Mein Mann hatte die Lizenz zum Gelddrucken, was?« Wenn er es nur nicht zur Gänze in ein unverkäufliches Hotel am Arlberg gesteckt hätte.
Jessica lachte. »Stimmt.«
Wieder ertönte im Vorzimmer dieses penetrante Telefongebimmel.
»Ich glaub, ich geh mal besser ran. Bin gleich wieder da.« Jessica lief ins Vorzimmer.
Marie stand auf und ging zum Fenster. Sie lehnte die Stirn gegen die kalte Glasscheibe und starrte in die Tiefe. Die Türme der Andräkirche ragten aus dem Parkplatz zu ihren Füßen. Wie eine Sammlung auf Nadeln gespießter Käfer schillerten die Autos in der Mittagssonne. Über dem Asphalt flirrte die Luft.
Und wenn sie die »Austria Immo Development« vorerst weiterlaufen ließ? Immerhin hatte sie jahrelang mitgearbeitet. Sie kannte das Geschäft.
Ein mit Touristen besetzter Fiaker fuhr im Schritttempo vor dem Portal von Schloss Mirabell vorbei. Mit hängenden Köpfen schleppten sich die Pferde durch die Hitze.
Sie musste sich einen Überblick über die Geschäftslage verschaffen und Zeit gewinnen. Inzwischen würde sie einen Käufer suchen. Wenn nicht für die »Arlberg Lodge«, dann für die »Austria Immo Development«. Marie beschloss, ihren Wechsel vom Sekretariat in den Chefsessel als Aufstieg im Unternehmen zu betrachten.
Ein Mann in Anzug und weißem Hut, ein Handy am Ohr, spazierte vom Dorotheum herüber. Irgendwas kam ihr an dem Mann bekannt vor. Sie war sich sicher, ihn schon einmal gesehen zu haben. Vielleicht ein Kunde, der ins Büro gekommen war. Direkt unter Maries Fenster blieb der Mann stehen, steckte das
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