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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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wandte sich zu Bosch um. »Wird nicht lange dauern. Nehmen Sie doch inzwischen noch Tee.«
    Die Tür schloss sich hinter den drei Männern.
    Bosch schenkte sich Tee nach, hatte aber keine rechte Lust mehr darauf. Etwas gelangweilt stand er auf und wanderte durch das Zimmer. Bücher über Bücher, aber die meisten Titel sagten ihm nichts oder waren in französischer Sprache verfasst. Vor dem Tischchen, auf dem Henri die alten Fotos geordnet hatte, blieb er stehen.
    Er hob ein Schwarz-Weiß-Foto auf, das zuoberst auf einem Stapel lag, und betrachtete es. Es zeigte eine Tempelmauer. Fabelwesen und Köpfe mit Federschmuck waren aus dem Stein gehauen. Aus ihren aufgerissenen Mündern rann stilisiertes Wasser. Agaven und Gestrüpp überwucherten die Anlage. Im Vordergrund lagen auf einer Plane kleine Kunstgegenstände, die Bosch auf der grobkörnigen Aufnahme nicht identifizieren konnte, und zahlreiche Knochen. Jemand hatte fünf Totenschädel für die Kamera arrangiert. Bosch hatte gelesen, dass die Mayas ihrem Regengott Menschenopfer dargebracht hatten. Wahrscheinlich war der alte Mortin bei dem Tempel auf ein paar Überreste gestoßen. Bosch drehte das Bild um. Auf der Rückseite stand in schwarzer Tinte: »Chichén Itzá 1912«. Die Schrift war schräg, großzügig und wirkte selbstbewusst. Er legte das Bild zurück und griff wahllos nach einem anderen.
    Dieses Foto war eher ein Schnappschuss, aufgenommen nach einer erfolgreichen Jagd. Ein schwarzes Tier, einem Schwein nicht unähnlich, lag auf dem trockenen Steppengras. An einem Hinterlauf lehnte ein großer Bogen, und davor stand ein kleiner Flaschenkürbis. Auf dem Bauch des Tieres hatte man vier Holzstöcke drapiert. Bosch hielt sich das Bild näher vor die Augen. Die Stöcke waren Pfeile mit gekerbtem Schaft und lanzenförmiger Spitze. Deutlich hoben sie sich von dem dunklen Fell ab. War das Tier – möglicherweise ein Tapir – damit erlegt worden? Bosch drehte auch dieses Foto um. »Strychnos toxifera«. Die gleiche Schrift, die gleiche schwarze Tinte. Anscheinend die Dokumentation einer archaischen Jagdmethode. Bosch überlegte, wo er das Foto weggenommen hatte, konnte sich aber nicht genau erinnern. Er legte es auf den nächstbesten Stapel.
    Dann ging er zum Fenster. Die Regentropfen perlten wie an grauen Seidenschnüren aus den tief hängenden Wolken herab – Schnürlregen. Vom Wolfgangsee stieg Dampf wie in Rauchsäulen zum Himmel, als brenne sein schwarzes Wasser. Das Ofenfeuer, das Bosch am Morgen in seinem Holzhäuschen entzündet hatte, war sicher längst erloschen. Außerdem hatte er wie immer die Verandatür für den Hund offen gelassen. Ihnen beiden stand ein ungemütlicher Abend bevor.
    »Ich hoffe, Sie haben sich nicht zu sehr gelangweilt.« Henri warf die Tür hinter sich ins Schloss und durchquerte die Bibliothek. »Diese Baufirma hat einfach ein Loch in eine Wand gestemmt.« Er schüttelte den Kopf über so viel Unverstand.
    Bosch horchte auf. »Dann sollte ich mir das anschauen.«
    Aber Henri winkte ab. »Nicht nötig. Nur ein alter Lagerraum voll Staub und Dreck. Jetzt müssen die Leute den Durchbruch eben wieder zumauern. Crétins «, knurrte er. Henri blieb vor dem Tisch mit den Bilderstapeln stehen. Sein Blick wanderte über die Aufnahmen und fiel auf das Jagdfoto. Er runzelte die Stirn. Entweder der Schaden an der Wand war doch größer, als Henri ihm anvertrauen wollte, oder Bosch hatte das Foto falsch abgelegt. »Ich sehe, Sie interessieren sich für die alten Aufnahmen?«
    »Sie sind faszinierend.« Bosch kehrte zu seinem Sessel zurück. »Aber dafür muss man Fachmann sein. Sie werden in Ihrer Ausstellung jede Menge Untertitel anbringen müssen.«
    Henri ließ sich auf das Sofa fallen und lächelte Bosch zu. »Das werde ich.« Seine gute Laune war auf einen Schlag zurückgekehrt. »Aber wissen Sie, mon cher , ich habe noch mal über unser Gespräch nachgedacht.«
    »Welches?« Bosch setzte sich, griff nach seiner Teetasse und trank sie aus. Der Tee war stark gezuckert und hatte die Farbe dunklen Goldes, war aber nur noch lauwarm und hatte einen bitteren Nachgeschmack.
    »Wir haben über den Tod dieses Aschenbach geredet.« Henri nickte aufmunternd. »Erinnern Sie sich nicht?«
    Bosch setzte die leere Tasse ab. Eigentlich hatten nicht sie über den Todesfall gesprochen. Das war Henri gewesen. »Doch, ja.«
    »Schön.« Henri nahm seine Brille ab und ließ sie an einem Bügel rotieren. »Finden Sie den Tod dieses Mannes – immerhin

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