Totenkult
in der Zeitung. Außer bei Boutique-Eröffnungen oder Charity-Events ihrer Freundinnen, da musste sie immer allein hingehen. »Hausfrauen-Scheiße«, hatte Roland diese Veranstaltungen genannt und hatte mit solchen Terminen nicht behelligt werden wollen. Die Gastgeber waren aber ohnehin egal, es waren sowieso immer dieselben Leute da.
Enttäuscht stellte Marie fest, dass die Mappe nur Berichte über Rolands Geschäfte enthielt. Gleich auf der ersten Seite, herausgeschnitten aus einem Wirtschaftsmagazin vor etwa einem halben Jahr, prangte ein Farbfoto der »Arlberg Mountain Lodge«. Durch die Fenster mit den grünen Läden schien warmes Licht. Über dem Eingang hingen mit Weihnachtskugeln, riesigen Brezeln und roten Schleifen geschmückte Tannenzweige. Ein flamingofarbener Abendhimmel leuchtete über dem stattlichen Dach und den schneebedeckten Bergen im Hintergrund. Es war die blaue Stunde, in der die Skifahrer nach einem Tag in Sonne und Schnee in ihr gemütliches Hotel zurückkehrten.
Marie kannte das Bild. Es stammte aus einem der Prospekte, die für die Anleger gedruckt worden waren … Fast konnte man die klare, kalte Bergluft riechen und den Schnee unter den Kufen der Pferdeschlitten knirschen hören. Dort wollte man Urlaub machen oder besser noch – leben. Egal, was es kostete.
Sie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee und begann, den Artikel zu lesen.
Ausgeträumt
Nach der Pleite der Arlberg Mountain Lodge gerät Roland Aschenbach in die Kritik: Hat der Immobilienentwickler nur zu hoch gepokert? Oder trieb er das Fünf-Sterne-Plus-Hotel zu seinem Vorteil in den Konkurs?
Lautes Geschnatter störte Maries Lektüre. Auf dem Rasen hatten sich drei Enten niedergelassen und konnten sich anscheinend nicht über die Liegeplatzverteilung einigen.
Nur ein Jahr nach der Eröffnung ist die Arlberg Mountain Lodge, Aschenbachs Prestigeobjekt, zahlungsunfähig. Was die Anleger, die mehrere Millionen in den Fonds investiert haben, bereits befürchteten, ist eingetreten. Das chronisch unterbelegte Hotel ist in die Pleite geschlittert. Missmanagement oder doch Vorsatz?
Was? Marie schaute auf. Der Artikel unterstellte ja geradezu, dass Roland ein Betrüger gewesen war.
Die Enten lagen nun friedlich beieinander. Eine von ihnen bewegte lautlos den Schnabel, als wenn sie eine für Menschen unhörbare Botschaft weitergeben wollte. Es schien, als flüsterten die Vögel miteinander.
Maries Gesicht war heiß. Dieses Schmierblatt erschien österreichweit. Über die Auflagenzahl durfte sie gar nicht nachdenken. Bestimmt hatten ihre ganzen Bekannten hämisch hinter ihrem Rücken getuschelt. Und dabei war das nur der erste Presseausschnitt. Roland, der elende Schuft, hatte sie nie gewarnt, sondern überallhin rennen lassen. Fast wünschte sie, er wäre noch am Leben und sie könnte ihm ihre Meinung sagen.
Vor gut zwei Jahren erwarb die Austria Immo Development die Hotelanlage Pension Alpenblick mit den umliegenden Grundstücken. Kaum waren die Anteilscheine für ein Fünf-Sterne-Plus-Hotel verkauft, zirkulierte das Anlegervermögen in Aschenbachs Unternehmen. Alle Bauaufträge gingen an eine Tochterfirma, die Austria Immo Bau, und die gesamte Inneneinrichtung wurde an die Austria Immo Interior vergeben. Aschenbach hatte auch dafür gesorgt, dass der Fonds nur das Haupthaus erwarb. Nebengebäude, umliegende Gründe und die ganzjährig bewirtschaftete Alm blieben im Eigentum der Austria Immo Development. Das Hotel musste ständig zukaufen, pachten oder mieten – natürlich von Roland Aschenbach. Sogar die Parkplätze und die Unterkünfte für das Personal.
An dieser Stelle war ein Foto von Roland abgedruckt. Braun gebrannt und in Trachtenjacke stand er neben dem Architekten vor der Pension Alpenblick, riesige Baupläne in den Händen, und strahlte wie Luis Trenker nach einem Gipfelsieg. Er war wirklich ein attraktiver Mann gewesen. Marie konnte die Kritik des Journalisten nicht verstehen. Das Konstrukt, das Roland für die Hotelanlage gewählt hatte, zeugte doch von Unternehmergeist. Die Anleger hatten eben Hotelanteilscheine gekauft. Natürlich hatte sich Roland den Rest der Liegenschaft zurückbehalten.
Zu den hohen Kosten kamen Probleme mit der Auslastung. Die Lodge, auf knapp achthundert Metern Seehöhe gelegen, ist nicht mehr schneesicher. Gäste, die zum Skifahren kommen, müssen mit Zubringern in höhere Gebiete gebracht werden. Bars oder Luxusgeschäfte sucht man im Dorf vergeblich, was für Kunden in diesem
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