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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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hinunterging, stellte er fest, dass im Garten gearbeitet worden war. Ein Teil der Beete war abgeräumt und die Erde für eine neue Pflanzung vorbereitet.
    Bei den Weiden angekommen, duckte sich Bosch unter den langen Zweigen. Dabei stieß er mit der Hüfte gegen einen großen Gegenstand. Rasch richtete er sich wieder auf. Halb verborgen unter den silbrig grünen Laubschnüren stand noch immer der Grill vom Gartenfest. Offensichtlich hatte sich in der Zwischenzeit niemand mehr darum gekümmert. Der Blättervorhang hatte sich in den letzten Wochen geschlossen, und der Grill war in Vergessenheit geraten. Noch immer schwammen Kohlereste in dem schwärzlichen Wasser, das sich unter der Grillfläche angesammelt hatte und vom Regen immer wieder aufgefüllt worden war. Dazwischen trieben Blätter und kleine Äste. Und ein hölzerner Grillspieß.
    Bosch wandte sich ab und wollte gerade auf den Sandstreifen hinaustreten, der zu seinem Grundstück führte, als er wie angewurzelt stehen blieb. Etwas hatte hier nicht seine Richtigkeit. Dies war kein einfacher Gartengrill, auf dessen Rost man Würste oder Fleischspieße legte. Am Abend des Festes hatte sich hier ein ganzes Spanferkel an einer eisernen Vorrichtung für die Gäste gedreht. Es war der kurze hölzerne Spieß, der nicht zu dem Sammelsurium im Kohlewasser passte. Langsam ging Bosch zum Grill zurück.
    Der Spieß war angekohlt, aber sonst unversehrt. Sein Schaft war mehrfach gekerbt, mit einer lanzenförmigen Spitze – und nicht zum Grillen gedacht. Boschs Kehle wurde eng. Auf einmal wusste er, wo er einen solchen Pfeil schon einmal gesehen hatte. Auf einem hundert Jahre alten Foto.

VIERZEHN
    Das stete Tropfen von Wasser weckte Marie. Roland war nach Hause gekommen. Mitten in der Nacht, wie immer. Rücksichtslos, auch wie immer. Marie hielt die Augen geschlossen, während sie auf das Geräusch der laufenden Dusche wartete. Sie wollte den Arm unter ihr Kopfkissen schieben, als sie merkte, dass da kein Kissen war. Sie lag auf einem harten Feldbett, durch dessen Bespannung von unten Kälte und Feuchtigkeit drangen. Es roch nach Moder und Schimmel.
    Sie riss die Augen auf. Über ihr wölbte sich der Himmel. Ein Mann mit Bart und Heiligenschein saß auf einer Wolke und hielt eine Hand hoch, als wollte er sie dort unten auf ihrem harten Lager segnen. Und da waren noch mehr Leute über ihr. Manche waren nur verschwommen zu sehen, anderen fehlten ein paar Gliedmaßen. Alle starrten aus mitleidlosen Augen auf sie herab.
    Sie war noch immer in der Felsenkapelle. Kondenswasser tropfte von einem Fensterbrett neben dem Eisenkruzifix auf den Boden. Das war der Laut, der sie geweckt hatte.
    Jemand hatte Henri von ihr weggelockt. Die Erinnerung an das Klappern des Schlüssels, der sich in dem alten Kastenschloss gedreht hatte, bohrte quälend in ihrem Kopf. Jemand hatte sie hier eingeschlossen. Stundenlang hatte sie um Hilfe gerufen, umsonst. Marie hatte die ganze Nacht auf dem harten Feldbett zugebracht und vergeblich auf ihre Befreiung gewartet. Stunden des Wachens und Dösens hatten sich abgewechselt, waren verronnen, bis sie jedes Zeitgefühl verloren hatte. Wann war Henri gegangen? Und warum war er nicht zurückgekehrt? Ihm musste etwas Schreckliches passiert sein. Vielleicht war er tot. Und niemand außer ihm wusste, wo sie war. Ganz aus der Ferne hörte Marie die Schiffssirene des Ausflugsdampfers, der die Anlegestelle in Fürberg verließ. Fröhliche Menschen waren an Deck und fotografierten womöglich in diesem Augenblick den Falkenstein, ohne zu ahnen, dass sie hier festsaß. Aber irgendwer würde sie vermissen. Jessica. Der Gärtner. Ihr Nachbar. Natürlich, ihr Nachbar, Bosch. Er würde die Polizei rufen. Und dann? Vielleicht würde man sie sogar im Schloss suchen. Man würde Henris Leiche finden. Und vielleicht die von Cesario. Wenn er nicht der Angreifer war und längst über alle Berge. Aber sie selbst? Die Felsenkapelle war jahrhundertelang verschollen gewesen. Niemand kannte diesen Raum. Sie war mutterseelenallein und auf sich selbst gestellt.
    Marie stützte die Ellenbogen auf und versuchte, sich aufzusetzen. Von der Anstrengung wurde ihr schwindlig, und ihr Magen rebellierte. Seit gestern, als sie sich zu einem entspannten Mittagessen im Schloss aufgemacht hatte, hatte sie nichts mehr gegessen. Oder getrunken. Ihre Zunge klebte am Gaumen. Hinter den Fenstern rauschte sanft der See, aber sein klares kaltes Wasser war für sie unerreichbar. Das Plätschern und

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