Totenmesse - Patterson, J: Totenmesse - Step on a Crack
war.
Doch von all dem musste ich mich distanzieren. So tun, als wäre ich nur ein kleines Rad im Getriebe, das ich nicht beeinflussen konnte.
»Und bitte, Jack«, fuhr ich fort. »Sie waren doch derjenige, der offen reden wollte. Was haben Sie erwartet? Dass es keine Folgen haben würde, einen Priester umzunieten und wie einen Müllsack die Stufen hinunterzuwerfen?«
»Das war ein Unfall! Das habe ich Ihnen gesagt!«, erwiderte
Jack. »Einer eurer Wichser hat meinen Freund umgebracht. Er starb in meinen Armen.«
»Einer von euch hat zwei Polizisten umgebracht«, hielt ich dagegen. »Bei diesem Spiel stecken wir in der Sackgasse. Ich dachte, Sie wollten Geld. Wenn Sie Menschen töten, kommen Sie dem auch nicht näher. Das wird meine schießfreudigen und jetzt völlig stinkigen Kollegen nur veranlassen, die Kathedrale zu stürmen. Also schauen wir den Tatsachen ins Auge. Wenn Sie uns zwingen, die Kirche zu stürmen, haben Sie nichts erreicht. Sie haben mit dem Priester einen Fehler gemacht. Das ist mir jetzt klar. Wir haben auch einen Fehler gemacht. Lassen Sie uns das, was passiert ist, vergessen und uns wieder dem eigentlichen Problem zuwenden.«
Ich wartete. Obwohl ich die Sache auf den Punkt gebracht hatte, war es ein schwaches Argument. Jedenfalls brauchte ich mehr Zeit, um die Dinge neu zu sortieren und mir eine neue Strategie auszudenken. Der geheime Tunnel schien unsere einzige Chance gewesen zu sein, aber vielleicht gab es noch eine andere Möglichkeit. Jetzt brauchten wir einfach noch mehr Zeit.
»Ich kann dem, was Sie hier verzapfen, nicht mehr trauen, Sie verlogener Drecksack«, blaffte Jack. »Ihr habt die Sache versaut, Mike, und jetzt werde ich euch dafür bestrafen. Kommen Sie zum Haupteingang und holen Sie den Müll ab.«
70
Ich rannte vom Bus aus quer über die Straße, als die riesige Kathedralentür langsam geöffnet wurde. Gleich würden die Geiselnehmer ein weiteres Opfer hinauswerfen. Ein Teil in mir wollte glauben, ich könnte ein Leben retten, wenn ich mich beeilte, aber das war eine Illusion.
Eine menschliche Gestalt wurde durch den schwarzen Spalt geworfen. Ich konnte nicht erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau war.
Die Leiche schlitterte über den Fliesenboden und landete mit dem Gesicht nach unten auf einem Gesteck mit verwelkten Blumen. Männlich, stellte ich fest. Dunkler Anzug. Welche Geisel war getötet worden?
Mit brennenden Lungen fiel ich vor dem Opfer auf die Knie. Ich machte mir erst gar nicht die Mühe, nach dem Puls zu fühlen, als ich den Oberkörper sah. Der untere Rücken war aufgerissen und blutete.
Es war zu spät.
Das Opfer war ein Mann mittleren Alters. Sein Hemd war aus der Hose gezogen, Dutzende großer Stichwunden bedeckten seinen Rücken, Brandwunden von Zigaretten zogen sich über die Unterarme nach oben. Ich hatte schon genügend Leichen gesehen und wusste, hier hatte jemand mit einem scharfen Messer, vielleicht einem Paketmesser, seine Wut an diesem Mann ausgelassen.
Das Erste, was ich sah, als Steve Reno, der Lieutenant der Sondereinheit, mir half, die Leiche umzudrehen, war, dass dem Mann die Kehle durchgeschnitten worden war.
Beim Anblick des verquollenen, blutigen Gesichts blieb mein Herz beinahe stehen.
Ich drehte mich zu Reno. »Das ist doch alles pervers«, sagte er so leise, als spräche er mit sich selbst, während er auf die Leiche hinabstarrte. »Perverser geht’s nicht mehr.«
Ich nickte und blickte wieder hinab.
Andrew Thurman, der Bürgermeister von New York City, hielt seine toten Augen zum Himmel gerichtet. Eine Kältewelle durchfuhr mich, als ich zu den dunklen Bögen hinaufblickte, wo er nach einer Antwort darauf zu suchen schien, wie all das hatte passieren können.
Reno zog seine Windjacke aus und lege sie wie eine Decke um Bürgermeister Thurman. Schweigend bekreuzigte er sich, bevor er ihm mit seinen Daumen die Augen schloss.
»Packen Sie ihn an den Beinen, Mike«, bat er mich. »Schaffen wir ihn hier weg. Und achten Sie darauf, dass die Presse keine Bilder kriegt.«
71
Das mittägliche Angelusläuten ertönte, während wir den Bürgermeister von New York die Stufen hinabtrugen. Alles, was bisher passiert war, verblasste im Vergleich zu diesem brutalen, erschreckenden und sinnlosen Mord.
In der Polizeiriege herrschte sofort Aufregung. Die Glocken schlugen unaufhörlich weiter. Die Polizisten und Sanitäter rissen den Mund oder die Augen auf oder erstarrten in Ehrerbietung, während wir die Leiche auf der abgesperrten
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