Totenmesse
dem Raum hinter der Tür mit dem Namen Bergman, die die nationale Einsatztruppe zu demolieren im Begriff war.
»Los«, sagte Niklas Grundström.
Und als die Tür zersplitterte, war es, als ob die magischen Wörter, eines nach dem anderen, durch die Risse im Holz drangen.
Requiem aeternam dona eis, Domine, et lux perpetua luceat eis. Kyrie eleison. Christe eleison. Kyrie eleison.
Dort drinnen hatte sich der Tod eingerichtet.
Nach ein paar Minuten kam ein Einsatzbeamter heraus und klappte sein Visier hoch. Hjelm erkannte einen Mann namens Nicke Renberg, obwohl er zehn Jahre älter aussahals zuletzt. Vermutlich war er zum ersten Mal im Leben ernsthaft infrage gestellt worden.
»Niemand da«, sagte Renberg.
Hjelm nickte und gab Grundström ein Zeichen, damit er als Erster durch die zersplitterte Tür hineinging.
Die Wohnung war weitgehend unmöbliert. Bett, Sessel, Schreibtisch. Und auf dem Schreibtisch ein Foto in einem Rahmen. Mehr nicht.
Hjelm nahm das Foto und betrachtete es. Es zeigte eine hübsche blonde Frau, die auf eine vollkommen hellblaue Meeresbucht blickte, mit einem Tragegurt vor dem Bauch.
»Es hat eine Familie gegeben«, sagte Paul Hjelm.
Familienvater Grundström betrachtete das Foto und sah sich dann in der kahlen Einzimmerwohnung um. »Hier hat keine Familie gewohnt«, sagte er.
»Sie sind bestimmt tot«, sagte Hjelm und fühlte sich von sakralen Tönen durchströmt.
Grundström sah ihm in die Augen, runzelte die Brauen und sagte: »Ja. Natürlich sind sie tot.«
Hjelm stellte das Foto zurück. Mozarts Töne klangen in seinem Inneren mit einer Intensität nach, wie er sie bisher nicht kannte. Die Totenmesse fraà sich gleichsam in ihn hinein, fraà sich in das Schwärzeste, aber auch Reinste seiner Seele. Als ob Andreas Beckers Gefühle tatsächlich Besitz von ihm ergriffen hätten.
Die Kriminaltechniker wühlten bereits in Lars Bergmans kleiner Einzimmerwohnung in ihrer freimütig kontrollierten Art herum.
Lars Bergman alias Rolf Strand alias Andreas Allvin alias Alvin Strömberg alias Johan Lidström alias Andreas Becker.
Das Leben eines Spions.
Sosehr er auch versucht, kein Spion zu sein.
Hjelm dachte an das Reihenhaus in Norsborg, an seinen Besuch in der eigenen Vergangenheit. Er dachte an die eiskalt auf den Kopf seiner früheren Frau gerichtete Pistole. Underkonnte sich mit dieser Zunft, dieser Menschensorte, nicht versöhnen, es ging nicht.
Vielleicht, weil sie in ihrer verdrehten Art ihm selbst so ähnlich waren. Ihm, dem Internermittler. Dem Spion unter den Polizisten.
Andreas Becker hatte seine Familie getötet.
Genau so, wie Paul Hjelm es beinahe getan hätte. Sie wären nie auf Cilla gekommen, wenn es ihnen nicht gelungen wäre, sie mit Paul in Verbindung zu bringen. Cilla war eine Polizistenfrau, wenn auch eine ehemalige. Das hatte sie auf die richtige Spur gebracht. Vermutlich war es auf einem Polizeisender oder in einer E-Mail erwähnt worden. Und sie sahen und hörten alles.
Hjelm nahm das Foto noch einmal in die Hand und sah es genau an. Es war mehr und mehr Cilla, die er sah. Cilla und Danne. Cilla und Tova.
Wir sind alle Spione, dachte er. Wir sind alle Fossilien.
Es war klar, dass Andreas sich schuldig fühlte, seine Familie getötet zu haben. Die Vergangenheit hatte ihn eingeholt. Der unbedachte Entschluss in seiner Jugend würde ihn für immer verfolgen. Also musste er das Beste aus der Situation machen.
Sich rächen.
Aber woran? Und wie?
An einer Welt, einer Zeit, die ihn hervorgebracht hatte, die ihn aus einem Menschen zu etwas anderem gemacht hatte.
Wie rächt man sich am zwanzigsten Jahrhundert?
Vielleicht, indem man seine Verbrechen sühnt â¦
43
Sonnabend, den 10. Oktober 1942,
acht Uhr dreiundvierzig am Abend
Wie kann man die Augenblicke erklären, in denen sich der Mensch über sich selbst erhebt und für eine Weile etwas anderes und Besseres wird? Und wie kann man erklären, dass es ausgerechnet hier geschieht, in dieser Stadt, die mehr als irgendeine andere den Menschen zeigt, wenn er etwas anderes und Schlechteres ist? Ich kann es nur durch dich erklären, Gott, an den ich nicht glaube. Nicht, weil du existierst, sondern weil ich mich trotz allem mit dir unterhalten kann. Weil deine Schöpfung, Gott, an den ich nicht glaube, das Vorbild für alle Schöpfer ist. Wir sehen deine Schöpferkraft, und für
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