Totenmesse
atemlos.
»Es ist vorbei«, wiederholte Gunnar Nyberg, und ob es daran lag, dass er die folgende Frage nicht gehört hatte, war auch nicht zu entscheiden.
»Bist du in Ordnung?«, versuchte es Kerstin.
»Ãberhaupt nicht«, sagte Nyberg. »Ich faxe euch den verdammten Zettel gleich rüber. Hoffentlich berichtet mir jemand irgendwann, worum es hier eigentlich geht.«
»Vielen Dank, Gunnar«, sagte Kerstin. »Ein klasse Einsatz.«
»Mmm«, murmelte Nyberg. »Aber hier will ich ums Verrecken nicht wohnen.«
»Was?«
»Ich gehe nach Chios. Jetzt ist es entschieden.«
Dann war er weg.
Die Versammelten sahen einander an. Kein Jubel, aber eine Art von innerer Befriedigung.
Bis Andreas Becker sagte: »Ich erkenne das wieder.«
»Was?«, sagte Kerstin Holm.
»Diesen Ton«, sagte Becker. »Er hat getötet. Es ist der Ton des Siegers. Irgendetwas stirbt in einem bei jedem Sieg. Siegen ist unheimlich.«
»Vom Verlieren nicht zu reden«, sagte Paul Hjelm.
»Ja«, sagte Becker. »Davon nicht zu reden.«
Es war eine Weile still. Dann sagte Becker: »Vladimir hat einen guten Freund in Wolgograd. Er heiÃt Alexander. Er hält sich bereit.«
»Wolgograd?«, sagte Viggo Norlander.
Andreas Becker lächelte. »Stalingrad heiÃt jetzt Wolgograd«, sagte er. »Es ist eine ganz neue Stadt.«
»Und Alexander hält sich bereit?«, sagte Kerstin Holm. »Warum verkauft dieser Alexander das Notizbuch nicht an den Höchstbietenden, sobald er es in der Hand hat?«
»Weil er Vladimirs Freund ist«, sagte Becker. »Ein richtiger Freund.«
Vladimir sagte etwas auf Russisch.
»Er fragt, ob er rauchen darf«, übersetzte Becker.
Kerstin Holm lachte. »Er darf einem hohen Polizeibeamten eine Pistole an die Schläfe halten und in die Kampfleitzentrale eindringen, aber er darf nicht ohne Erlaubnis rauchen. Das ist echt schwedisch.«
» Sobranie ?«, sagte Arto Söderstedt und lachte.
»Da«, sagte Vladimir Kuvaldin, und als er sich seine Sobranie ansteckte, verzerrte sich sein geprügeltes Gesicht zu etwas, das ein Lächeln darstellen sollte.
Da begann der Faxapparat Papier auszustoÃen.
Obwohl ausstoÃen etwas hoch gegriffen war. Was heraus kam, war ein einziges Stück Papier. Mit schwer zu deutenden Zeichen. Ein einziges, aber teuer erkauftes Stück Papier.
»Aha«, sagte Kerstin Holm und betrachtete es. »Können wir das hier gleich in ein Overheadbild verwandeln? Jon?«
»Wird gemacht«, sagte Jon Anderson und verschwand.
Andreas Becker zeigte auf die Doppelprojektion an der Wand und sagte: »Ich hoffe, das da unten rechts ist ein Gebäude.«
Was er meinte, war eine ziemlich vage Anhäufung von Strichen und Winkeln.
»Wir werden sehen«, sagte Kerstin Holm.
Jon Anderson kam mit einer neuen Overheadfolie zurück, die er über die beiden schon vorhandenen schob. Er korrigierte das Bild, bis alle Teilstücke perfekt aufeinanderlagen.
»Da sieht manâs«, sagte Andreas Becker. »Es ist tatsächlich ein Gebäude. Und wenn ich mich nicht irre, brauchen wir den Rest der Karte kaum noch. Das ist doch die Walzenmühle?«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, sagte Kerstin Holm.
»Das ist eines der wenigen Gebäude, die in Wolgograd stehen geblieben sind. Als Denkmal für Stalingrad. Sie haben sich jedenfalls für das richtige Haus entschieden. Maxim Kuvaldin hat geahnt, dass die alte Walzenmühle bleiben würde. Er kannte seine Bolschewiken.«
»Dort beim ersten Stock ist ein Kreuz«, sagte Arto Söderstedt. »Ist das an einer Wand?«
Andreas Becker lachte laut. »In Wänden verbirgt sich so manches«, sagte er.
Dann fingerte er an seinem Gürtel.
Viggo Norlander, dessen Aufgabe es war, die Waffen im Raum zu bewachen, machte eine hastige Bewegung zum Katheder.
»Keine Angst«, sagte Becker mit erhobener Hand und zog ein kleines Handy aus seinem Gürtel. »Unter der Oberfläche verbirgt sich so manches.«
Er reichte es Paul Hjelm, der sich zu seinem Erstaunen dabei ertappte, dass er es mit der gröÃten Sorgfalt untersuchte. Nicht, dass er eine Ahnung gehabt hätte, wonach er suchte â¦
»Es ist ein abhörsicheres Mobiltelefon«, sagte Becker. »Ich habe vor, in Wolgograd anzurufen.«
»Wir können kein Russisch«, sagte Kerstin Holm.
Weitere Kostenlose Bücher