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Totenmesse

Titel: Totenmesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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es zu zeigen. Vielleicht habe ich das auch getan.
    Er setzte sich auf die Bettkante und wurde von einer schmerzlichen Zärtlichkeit erfüllt. Er wagte nicht, die Hand auf sie zu legen – seine Erfahrung sagte ihm, dass sie fortgestoßen werden würde. Aber er blieb sitzen.
    Während Mozarts Requiem in seinem Kopf dröhnte.
    Als sie eine Stunde zuvor von der E4 nach Norsborg abgebogen waren, hatte Cilla gesagt: »Park den Wagen ein Stück weiter weg.« Er hatte verstanden und gelacht. Eben erst war sie einer Lebensgefahr entronnen, und sie machte sich Gedanken wegen der Nachbarn.
    Er parkte den Wagen ein Stück weiter weg.
    Sie kamen zum Haus, ohne Nachbarn zu begegnen. Er öffnete instinktiv die Tür des alten Garderobenschranks und warf seine Jacke hinein. Erst im Nachhinein reagierte er.
    Ich wohne hier nicht mehr.
    Cilla ging auf geradem Weg ins Schlafzimmer, legte das etwas zerdrückte Paket und das Handy auf den Nachttisch, kroch ins Bett und zog sich die Decke über den Kopf. Nach einer Weile vermochte er ihr zu folgen.
    Er wusste, wie die Antwort ausfallen würde, stellte die Frage aber doch: »Möchtest du, dass ich über Nacht hierbleibe?«
    Sie kann nicht Ja sagen. Das geht nicht. Es ist unmöglich.
    Â»Mach, was du willst«, kam es unter der Decke hervor.
    Er lächelte ein wenig gequält und sagte: »Ich bleibe.«
    Er saß bei ihr, bis sie eingeschlafen war. Dann ging er in die Küche, machte Kaffee, setzte sich ins Wohnzimmer und erblickte den Papagei auf seiner Stange, der ihn mit großer Skepsis betrachtete.
    Â»Paul«, sagte er.
    Â»Cilla«, sagte der Papagei.
    Er stand auf und ging zu dem alten Klavier, das ihm einst als Ausguss gedient hatte, in den er seine Musikerträume gekippt hatte. Er strich über die Tasten und holte sich staubige Fingerspitzen. Dann schlug er ein paar Töne an. Und noch ein paar. Am Ende sang er ganz leise die Einleitungsworte des Requiems mit:
    Â»Requiem aeternam dona eis, Domine, et lux perpetua luceat eis. Te decet hymnus, Deus in Sion, et tibi reddetur votum in Jerusalem. Exaudi orationem meam, ad te omnis caro veniet.«
    Später ging er ins Schlafzimmer zurück. Und nichts kam ihm unbekannt vor. Nicht einmal unbequem. Ihr Sohn Danne war in eine Studentenwohnung im Körsbärsvägen am Roslagstull gezogen und studierte seltsame Fächer, unteranderem etwas so Bizarres wie Literaturwissenschaft. An Letzterem war Paul Hjelm nicht ganz unschuldig. Die besten Begegnungen mit dem Sohn nach der Scheidung hatten sich um Literatur gedreht, und jetzt hatte Danne also mit Literaturwissenschaft angefangen. Er klang sehr begeistert, besonders von einigen Dozenten, die auch eine ziemlich abgehobene Zeitschrift herausgaben.
    Die Tochter Tova wurde morgen achtzehn. An sie heranzukommen war ein bisschen schwerer; sie ging ins letzte Schuljahr und schien am liebsten ›in die Welt hinaus‹ reisen zu wollen. Sie hatte angekündigt, die Nacht bei ihrem Freund Kalle zu verbringen.
    Kalle?, dachte Paul Hjelm. Aber das musste genügen.
    Er saß eine Zeit lang an Cillas Seite und versuchte, in sein paralleles Leben einzutreten. Es gelang nicht richtig. Dann ging er in Dannes altes Zimmer und legte sich aufs Bett seines Sohnes.
    Mit dem Bild Cillas auf der Netzhaut schlief er ein. Cilla hinter einer verschlossenen Balkontür mit neu eingesetztem Panzerglas, nachdem bei mehreren Nachbarn eingebrochen worden war. Sie waren eben erst nach Norsborg gezogen. Das Reihenhaus war neu gebaut, es waren die frühen Achtziger-Jahre. Paul absolvierte sein letztes Jahr auf der Polizeihochschule und war viel unterwegs auf praktischen Einsätzen. Seine Arbeitszeiten waren gelinde gesagt unregelmäßig. An diesem Tag war er nach dem Mittagessen nach Hause gekommen. Er betrat die Wohnung und sah seine Frau draußen auf dem Balkon. Er erkannte sie fast nicht, begriff zuerst nicht, wer sie war. Sie war totenblass, ihr Gesicht war völlig verzerrt, aus einer Schnittwunde an ihrer Stirn rann Blut. Er wandte sich in die Richtung, in die ihr wilder Blick zeigte, und er sah den dreijährigen Danne nach vorn auf den Herd fallen. Alle Herdplatten glühten. Er sprang hinzu, fing ihn in der Luft auf und stürzte ins Badezimmer, um ihn unter kaltes Wasser zu halten. Danne brüllte laut und wild, aberdie Herdplatten schien er kaum berührt zu haben. Paul hielt ihn sicherheitshalber eine Zeit lang

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