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Totenmesse

Titel: Totenmesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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hasste es immer noch, von Bettlern angesprochen zu werden, obwohl sie inzwischen zum Stockholmer Straßenbild gehörten – weil er hatte und sie nicht. Weil sein Haben auf ihrem Nichthaben beruhte.
    Aber der Bettler war Arto Söderstedt. Er hielt eine Zigarettenkippe in der gummibehandschuhten Hand. Verwundert starrte er auf Chavez und Anderson und sagte: »Der Teufel soll mich holen, wenn das hier keine Sobranie ist.«
    Â»Was?«, sagte Anderson.
    Söderstedt untersuchte die Kippe eingehend und hob sie anschließend über den Kopf. »Warum raucht ein russischer Räuber russische Zigaretten? Bedeutet das, dass er gerade aus Russland eingereist ist?«
    Â»Du bist ein Vollidiot«, erklärte Chavez sachlich.
    Von der anderen Straßenseite zeigte sich jetzt ein Mann mit bandagiertem Kopf, gefolgt von einem gut gekleideten Artgenossen.
    Â»Was ist denn los?«, fragte Niklas Grundström.
    Â»Scheißverband«, sagte Paul Hjelm und schob den Verband hoch, der ihm über die Augen gerutscht war. Vor ihnen tauchte Viggo Norlander auf, kurz dahinter folgten Sara Svenhagen und Lena Lindberg.
    Â»Heureka«, sagte Söderstedt.
    Â»Sie haben also diesen Weg genommen?«, sagte Norlander. »Richtung HumlegÃ¥rden?«
    Â»Das würde zu unserem schwarzen Van passen«, sagte Jon Anderson. »Der mit Vollgas die Sibyllegatan hinuntergefahren ist.«
    Â»Entweder hat er die Fluppe hier verloren«, sagte Söderstedt. »Oder der Wagen stand hier, und er hat die Kippe weggeworfen, als er hineingeschoben wurde.«
    Â»So nah?«, meinte Grundström. »Es sind ja nur fünfzehn Meter von der Bank hierher.«
    Â»Er kann ja nicht zwei Männer durch die ganze Stadt geschleppt haben«, sagte Söderstedt. »Der Wagen muss in der Nähe gestanden haben. Warum nicht hier.«
    Â»Was standen hier für Wagen?«, fragte Hjelm. »Hatte er tatsächlich einen Polizeiwagen zur Verfügung?«
    Â»Die Nationale Einsatztruppe hat keine gewöhnlichenPolizeiautos«, sagte Grundström. »Wir müssen das genauer untersuchen.«
    Â»Wartet mal«, sagte Chavez. »Was macht ihr hier alle? Sara?«
    Â»Wir sind auf dem Weg zur Bank«, sagte seine Frau. »Um Geir zu treffen.«
    Â»Wir wollen zum Militärischen Nachrichtendienst am Lidingövägen«, sagte Hjelm.
    Â»Das ist vertraulich«, sagte Grundström streng.
    Â»Denk daran, dass ich eine Gehirnerschütterung habe«, sagte Hjelm.
    Â»Wir wollen zur Russischen Botschaft«, sagte Norlander. »Sobald wir mit Kippensammeln fertig sind.«
    Â»Und wir wollen um die Ecke, Skeppargatan 62«, sagte Chavez.
    Arto Söderstedt räusperte sich und sagte: »Wir müssen damit aufhören, uns so zu treffen.«
    Woraufhin jeder in seine Richtung ging.
    Jorge Chavez und Jon Anderson bogen um die Ecke und hatten nach einer Weile Glück, dass sie die Tür festhalten konnten, als jemand das Haus verließ. Sie blieben im Treppenhaus stehen und gewöhnten ihre Augen an das Halbdunkel. Was sich ihnen nach und nach offenbarte, war ein stattliches Treppenhaus, renovierter Jugendstil mit dicken Teppichen und Originalglas in den Lampen.
    Dann stiegen sie die Treppenstufen hinauf.
    Im ersten Stock thronte ein kleiner, aber pompöser Jahrhundertwendelöwe in der Fensternische. Chavez kitzelte den Löwen unterm Kinn und ging weiter.

29
    Samstag, den 12. September 1942,
    drei Uhr zehn am Nachmittag
    Zwei große Ströme fließen durch Russland, von oben nach unten, von Norden nach Süden. Sie haben verschiedene Quellen, und sie münden in verschiedene Meere. Aber an einem bestimmten Punkt scheinen sie plötzlich zueinander hingezogen zu werden – wie von einer heftigen Anziehungskraft. Auf einer Karte sieht es so aus, als berührten sich der Don und die Wolga, bevor sie sich wieder trennen und gleichsam unberührt weiterfließen, jeder in seine Richtung. Aber an genau diesem Punkt scheint der Abstand zwischen ihnen gleich Null zu sein.
    Eine Karte ist jedoch nicht die Wirklichkeit. Wir wissen, dass der Abstand zwischen Don und Wolga unendlich ist.
    Gerade in dieser Krümmung, am Ufer der Wolga, liegt Stalingrad.
    Da befinden wir uns.
    Es sind fast vier Monate vergangen, seit ich zuletzt etwas ins Tagebuch geschrieben habe; es wird ziemlich sporadisch geführt. Damals gab es Stalingrad kaum, es war höchstens ein kleines

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