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Totenmesse

Titel: Totenmesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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gearbeitet hatte oder beim Eishockey gewesen war oder ein Freitagabendbier getrunken hatte.
    Vor noch gar nicht langer Zeit war er das gewesen.
    Der Kreisverkehr am Brommaplan war schwer zu meistern. Die Schneepflüge warennoch nicht so weit gekommen. Er fuhr auf der Linkskurve des Drottningholmsvägen in den Kreisel, passierte den Festlandsockel der Nockebybro und begab sich hinaus auf die Inseln im Mälaren. Er starrte hinab in den Mälaren, wo er am allerschönsten ist, in der Bucht zwischen Kärsön und Nockeby, zwischen der Kommune Stockholm und Ekerö.
    Er passierte Schloss Drottningholm, eine verschwommene Festung von Licht, gekrönt von der Flagge zum Zeichen, dass der König zu Hause war. Er dachte: Es ist trotz allem ein schönes Land.
    Ist es mir je gelungen, es zu meinem Land zu machen?
    Ja, eine Zeit lang, als wir mehr waren.
    Jetzt, da ich allein bin, habe ich es wieder verloren. Jetzt habe ich kein Heimatland mehr.
    Es war nie meins.
    Und doch habe ich ihm gedient wie ein treuer Hund.
    Alles, was ich noch habe, ist ein vager, gestohlener Traum, das Vergangene zu verändern. Die Welt zu sich selbst aufschließen zu lassen. Eine Klammer um die unnötige zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts zu ziehen.
    Und um alle künstlichen Fortschritte.
    Er empfand intensive Trauer darüber, dass er den alten Robert der Adresse wegen hatte opfern müssen. Wie der alte Robert ihn in der gleichen Lage geopfert hätte. Um einer langen und treuen Feindschaft willen.
    Zu welchem Nutzen?
    Verdammtes Jahrhundert. Schön, dass es vorbei war.
    Er erreichte Färingsö. Fuhr vorbei an der Kirche von SkÃ¥. Die Abstände zwischen den Häusern wurden immer größer.
    Vor einer Hügelkuppe hielt er an und stellte den Wagen am Straßenrand ab. Er nahm den Koffer vom Rücksitz und öffnete ihn. Er zog die Daunenjacke aus und knöpfte das alte Achselholster auf. Er hatte kaum noch gewusst, wo er danach suchen sollte. Als er es in einer Schrankschublade im äußersten Winkel des Dachbodens fand, war es von Schimmel bedeckt, graugrünem Schimmel, wie Algen. Er schabte ihn ab, so gut es ging. Es roch immer noch unangenehm.
    Der Mann mit der Uhr nahm die Pistole, schraubte den Schalldämpfer auf und drückte die Waffe in das schimmelige Holster. Er nahm das Messer mit der breiten Klinge und schob es in die Scheide an seinemrechten Schenkel. Die Minitaschenlampe steckte er in die Jackentasche. Dann nahm er die kleine Maschinenpistole, hängte sie sich über den Rücken und machte sich auf den Weg zur Spitze des Hügels.
    Das Haus lag hundert Meter unterhalb des Gipfels am Waldrand, im nassen Schneegestöber kaum zu erkennen. Und vollkommen dunkel. Vollkommen einsam.
    Wenn man nicht die Spuren zu lesen verstand.
    Er hielt inne und überlegte, ob er die Spuren zu lesen verstand. Keine Wagenspuren – es war noch nicht lange her, seit es zu schneien begonnen hatte. In der Nähe überhaupt keine Spuren. Außer den vorgezogenen Gardinen in dem Zimmer, das auf den Altan hinausging. Und dem Schatten davor, neben dem Altan. Der Schatten im Schatten.
    Er glitt heran, geduckt hinter den Schneewällen des kleinen Weges, bis er fast die schneebedeckte Hecke erreicht hatte, die das Haus umgab. Ein kleiner Abwärtshang. Von unten aus waren der Altan und fast das ganze Haus von der Hecke verdeckt. Er ging in die Hocke und wartete. Beobachtete den Schatten. Der blieb reglos. Das hatte nichts zu bedeuten. Bewegung würde auf Amateure schließen lassen. Und sie waren keine Amateure.
    Er memorierte das ganze Szenario. Fixierte den Schatten. Fixierte die Hecke. Machte eine potenzielle Lücke aus. Berechnete einen Winkel. Berechnete eine Wirkung. Prägte sich alles ein. Zog die Pistole. Glitt den Hang hinunter, mit einem letzten Blick auf das schwarze Haus.
    Das Haus, das wartete, pochend wie ein schwarzes Herz.
    Es verschwand hinter der Hecke. Aber die Lücke war da.
    Es gab immer eine Lücke. Das war die einzige wirkliche Lehre, mit der er aufwarten konnte. Es gab immer eine Öffnung. Einen blinden Fleck. Einen toten Winkel.
    Er schlich zu der Lücke. Schneebedeckte Zweige. Buchsbaum? Da und dort etwas Dunkles. Das Haus. Und dann etwas noch Dunkleres. Der Schatten. Und etwas noch ein kleines bisschen Dunkleres. Der Schatten im Schatten.
    Er war allein. So musste es sein. Auftrag für wenige Leute. Höchstens vier. Nicht genug, um

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